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Das Karpathenschloß

Das Karpathenschloß

Titel: Das Karpathenschloß
Autoren: Jules Verne
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Monarchie – erscheint es als eine Art Schweiz, ist aber, obwohl um die Hälfte größer als der helvetische Staatenbund, doch nicht volkreicher als jene. Mit seinen dem Ackerbau erschlossenen Hochebenen, den üppigen Weideflächen, den nach allen Richtungen hin streichenden Thälern und seinen schroff aufstrebenden Felsriesen, wird Transsylvanien, das die vielen plutonischen Höhenzüge der Karpathen fast überall streifig bedecken, von zahlreichen Wasserläufen durchzogen, von Zuflüssen der Theiß und der stolzen Donau, in der das sogenannte Eiserne Thor wenige geographische Meilen weiter im Süden den Abfall der Balkankette zwischen der Grenze Ungarns und des osmanischen Reiches verschließt.
    So erscheint das Bild des alten Daciens, das Trajan im ersten Jahrhundert der christlichen Zeitrechnung eroberte. Die Unabhängigkeit, deren es sich unter Johann Zapoly und dessen Nachfolgern bis zum Jahre 1699 erfreute, hatte ein Ende mit Leopold I., der das Gebiet dem der österreichischen Kronländer einverleibte. Trotz veränderter politischer Verhältnisse ist es aber stets der Wohnsitz verschiedener Rassen geblieben, die hier mit einander in Berührung stehen, doch nicht verschmelzen, die Heimat von Walachen oder Rumänen, von Ungarn, Zigeunern, Szeklern moldauischer Abstammung, und auch von Sachsen, die durch Zeit und Umstände sich zu Gunsten der transsylvanischen Einheit doch schließlich »magyarisiren« dürften, so hartnäckig sie bisher auch ihre Stammeseigenthümlichkeit behaupteten.
    Welchem Typus der Schäfer Frik angehörte und ob er etwa ein entarteter Nachkomme der alten Dacier war, das hätte man angesichts seines wirren Haarschopfes, des nicht gerade sauberen Antlitzes, des struppigen Bartes, der dichten, wie aus röthlichen Borsten gebildeten Augenbrauen und der zwischen grün und blau schillernden, stechenden, doch am Hornhautrande schon den sogenannten Greisenbogen zeigenden Augen des Mannes nur schwer bestimmen können. Daß er bereits fünfundsechzig Jahre zählte, konnte man schon leichter sehen. Dabei war er groß, sehnig und hielt sich straff unter dem weichen Filzhute, der freilich weniger Haare zeigte als seine halb entblößte Brust – kurz, ein Maler würde ihn, wenn er so, auf den langen Stab mit Krähenschnabelgriff gestützt, unbeweglich wie ein Felsen dastand, gewiß gern als Modell benutzt haben.
    Als die Sonnenstrahlen sich durch die Berglücke im Westen Bahn brachen, drehte Frik sich um; dann formte er aus der halb eingeschlagenen Hand eine Art Fernrohr – ganz wie er diese als Sprachrohr verwendet hätte, wenn er sich weithin vernehmbar machen wollte – und blickte aufmerksam in jener Richtung hinaus. Am hellen Hintergrunde des Horizontes erhoben sich in der Entfernung einer Meile und deshalb stark verkleinert die Umrisse einer Burg. Dieser alterthümliche Schloßbau nahm auf einem einzelnstehenden Seitengipfel des Berges Vulcan den mittleren Theil eines Hochplateaus ein, das den Namen des Plateaus von Orgall führte. Bei dem schimmernden Lichte hoben sich die Umrisse des Ganzen deutlich und mit derselben Schärfe wie stereoskopische Bilder vom Himmel ab. Nichtsdestoweniger mußte das Auge des Hirten mit seltener Sehschärfe ausgestattet sein, um irgend eine Einzelheit der entfernten Gegenstände unterscheiden zu können.
    Plötzlich rief er, den Kopf in die Höhe werfend:
    »Altes Schloß!… Altes Schloß!… Immer stütze Dich nur auf Deine Grundveste!… Noch drei Jahre, und es ist zu Ende mit Dir, denn Deine Buche hat nur noch drei Aeste!«
    Die betreffende, nahe am Rande einer der Bastionen der Burg wurzelnde Buche erschien am Himmelsgrunde wie ein seiner Papierausschnitt, und in dieser Entfernung möchte sie schwerlich für jemand Anders als den Schäfer Frik sichtbar gewesen sein. Die Deutung jener geheimnißvollen Worte, die mit einer das Bergschloß betreffenden Sage in Beziehung stand, wird an passender Stelle nachfolgen
     

    Nachdem er also seine Heerde zusammengerufen… (S. 11.)
     
    »Ja! wiederholte der Mann, nur drei Aeste!… Gestern waren es noch vier; der vierte ist aber im Laufe der letzten Nacht abgefallen… jetzt steht nur noch ein Stumpf des stolzen Baumes da…. Ich zähle nur noch drei über dem starken Stamme… nur noch drei, alte Burg… nur noch drei lebende Aeste!«
    Stellt man sich einen Hirten von seiner idealen Seite vor, so erscheint er einem gewöhnlich als Denker oder Träumer; er unterhält sich mit den Planeten; er spricht mit den Sternen
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