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Das Karpathenschloß

Das Karpathenschloß

Titel: Das Karpathenschloß
Autoren: Jules Verne
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Unabhängigkeit – das Blut, das von den römischen Ahnen her in ihren Adern rollte.
    Bekanntlich blieben alle Anstrengungen, alle Opfer erfolglos…. Die Nachkommen jenes tapfren Volkes verfielen mehr und mehr unwürdiger Unterjochung. Jetzt haben sie keine politische Selbstständigkeit mehr. Drei schwere Niederlagen haben dieselbe vernichtet. Die Walachen Transsylvaniens (Siebenbürgens) verzweifeln aber noch immer nicht, das heutige Joch einst wieder abzuschütteln. Die Zukunft gehört ihnen, und mit unerschütterlichem Vertrauen wiederholen sie die Worte, in denen sich ihr Leben und Streben zusammendrängt:
Rôman on péré!
»Der Rumäne kann nicht untergehen!«
    Gegen Mitte des neunzehnten Jahrhunderts war der letzte Repräsentant der Herren von Gortz der Baron Rudolph. Im Karpathenschloß geboren, hatte er schon in zarter Jugend seine Familie rings um sich absterben sehen. Mit zweiundzwanzig Jahren stand er allein in der Welt. Alle seine Angehörigen waren Jahr für Jahr dahingegangen… abgefallen wie die Aeste der Schicksalsbuche, mit der der volksthümliche Aberglaube auch den Bestand der Burg selbst verknüpfte. Was sollte nun der Baron Rudolph – ohne Eltern, ja sogar ohne Verwandte – beginnen, um die Muße der drückenden Einsamkeit, die der Tod um ihn geschaffen, auszufüllen? Seinen Geschmack, seine Neigungen und Fähigkeiten hätte schwerlich Jemand bestimmt erkennen können, außer daß der junge Mann eine unwiderstehliche Leidenschaft für die Musik an den Tag legte, und vor Allem für den Gesang der hervorragenden Künstler seiner Zeit. So überließ er das schon stark verfallene Schloß eines Tages der Pflege einiger alter Diener und… verschwand. Später vernahm man von ihm nur, daß er sein übrigens sehr beträchtliches Vermögen dazu verwendete, die berühmtesten Musikstädte Europas und die Theater Deutschlands, Frankreichs und Italiens zu besuchen, wo er seinen unersättlichen Dilettanten-Träumereien genug thun konnte. War er nur ein excentrischer Charakter oder ein halb Geisteskranker? Seine seltsame Lebensführung hätte fast das letztere vermuthen lassen.
    Immerhin erlosch die Erinnerung an die Heimat keineswegs im Herzen des jungen Baron Rudolph von Gortz. Auch bei seinen weitausgedehnten Wanderungen hatte er das transsylvanische Vaterland nicht vergessen, so daß er sogar an einer jener blutigen Empörungen der rumänischen Bauern gegen die ungarischen Unterdrücker persönlich theilnahm.
    Die Nachkommen der alten Dacier wurden besiegt und ihr Gebiet fiel den Siegern zur Beute.
    In Folge dieser Niederlage verließ der Baron Rudolph endgiltig das Schloß seiner Väter, von dem übrigens einzelne Theile schon in Trümmer fielen. Der Schnitter Tod beraubte die Burg auch bald ihrer letzten Hüter, und so stand sie seitdem völlig vereinsamt. Was den Baron Gortz betraf, so ging das Gerücht, daß er sich aus Patriotismus dem berüchtigten Roßa Sandor, einem früheren Straßenräuber, angeschlossen habe, aus dem der Unabhängigkeitskampf übrigens einen Bühnenhelden gemacht hatte. Zum Glück trennte sich Rudolph von Gortz nach Beendigung des Kampfes von den Genossen des übel beleumundeten »Betyar«, und daran that er klug, denn der alte Wegelagerer, der wieder zum Anführer einer Diebsbande geworden war, fiel schließlich in die Hände der Polizei, die sich damit begnügte, ihn in Szamos-Uyvar einzukerkern.
    Daneben blieb im Comitat auch noch die allgemein geglaubte Sage verbreitet, daß Rudolph von Gortz bei einem Zusammentreffen des Roßa Sandor mit den Zollwächtern der Grenze getödtet worden sei.
    Das war indeß ein Irrthum, obgleich der Baron von Gortz seit jener Zeit sich niemals wieder in der Burg gezeigt hatte und deshalb Jedermann an seinen Tod glaubte. Was sich eine so abergläubische Bevölkerung wie die hiesige in die Ohren raunt, darf man eben immer nur mit starkem Zweifel hinnehmen.
    Ein verlassenes, ein verzaubertes, von Geistern heimgesuchtes Schloß! Die glühend lebhafte Einbildungskraft der Leute hat es gar bald mit Trugbildern bevölkert; da erscheinen Gespenster und kehren zu nächtlicher Stunde die Geister der Abgeschiedenen ein. Ganz ähnlich geht es ja auch in anderen abergläubischen Landstrichen Europas noch zu, Transsylvanien kann unter diesen aber entschieden den ersten Rang beanspruchen.
     

    Solche Lehren gingen aus der Schule des Magisters Hermod hervor. (S. 27.)
     
    Wie hätte auch die Dorfschaft Werst mit dem Glauben an die übersinnliche Welt
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