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Das Karpathenschloß

Das Karpathenschloß

Titel: Das Karpathenschloß
Autoren: Jules Verne
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brechen können! Der Pope und der Schullehrer, dieser mit der Erziehung der Kinder, jener mit der religiösen Fürsorge für die Gläubigen betraut, lehrten jene Fabeln desto unbedenklicher, als sie selbst daran glaubten. Sie versicherten »unter Beibringung von Beweisen«, daß noch Währwölfe im Lande hausten, daß Vampyre, Stryges genannt, weil sie Schreie wie die Strygien ausstoßen, sich von Menschenblut ernährten; daß »Staffii« durch die Ruinen strichen und allerlei Uebel verbreiteten, wenn man es unterließ, ihnen jeden Abend Speise und Trank anzubieten. Da giebt es Feen, »Babes«, denen man Dienstags und Freitags – den beiden Unglückstagen der Woche – nicht begegnen darf. Nun wage sich nur Einer in tiefere Wälder des Comitats, in jene verhexten Wälder, in denen die »Balauri« lauern, jene riesigen Drachen, deren Kinnladen sich bis zu den Wolken hinauf öffnen, oder die »Zmei« mit unmäßig großen Flügeln, die die Königstöchter und auch Mädchen geringer Herkunft entführen, wenn diese nur hübsch sind. Hier schwärmt also eine Menge furchtbarer Geschöpfe umher, denen die Einbildung des Volkes keinen anderen Helfer entgegenzustellen weiß, als die »Serpi de casa«, die Hausschlange, die vertraulich am häuslichen Herde lebt und deren heilsamen Einfluß sich der Bauer dadurch erkauft, daß er sie mit seiner besten Milch füttert.
    War nun jemals eine Burg geeignet, solchen Wesen der rumänischen Mythologie als Zuflucht zu dienen, so war es gewiß das Karpathenschloß.
    Auf dieser vereinsamten Hochebene, die außer von der linken Seite des oberen Theiles des Vulcans ganz unzugänglich war, mußten ja nach Anschauung der Leute Drachen, Feen, Stryges, vielleicht auch verschiedene Schatten aus der Familie der Barone von Gortz ihr Wesen treiben. Daher stand die Burg in ganz üblem und, wie man sagte, mit vollem Rechte üblem Ansehen. Kein Mensch hätte es gewagt, sie zu besuchen. Sie verbreitete eine Art epidemisches Entsetzen um sich, wie ein ungesunder Morast, der pestilenzialische Miasmen aushaucht. Schon wer sich ihr auf eine Viertelmeile näherte, setzte damit sein Leben in dieser und sein Seelenheil in jener Welt aufs Spiel. Solche Lehren gingen aus der Schule des Magisters Hermod hervor.
    Alles das sollte freilich ein Ende nehmen, wenn von der alten Veste der Barone von Gortz kein Stein mehr auf dem andern lag – und hier knüpfte eben die Legende an.
    Nach Aussage der angesehensten Leute von Werst hing der Bestand der Burg mit dem einer uralten Buche zusammen, deren Astwerk über die Winkelbastion zur Rechten des mittleren Walles emporstarrte.
    Seit der Abreise des Baron Rudolph von Gortz verlor diese Buche – die Dorfbewohner und vor Allen der Schäfer Frik hatten es beobachtet – jedes Jahr einen ihrer Hauptäste. Man hatte deren achtzehn vom Stamme aus gezählt, als der Baron Rudolph zum letzten Male auf der Plattform des Thurmes sichtbar gewesen war, und jetzt trug der Baum davon nur noch drei. Jeder abgefallene Ast bedeutete nun für die Burg ein weiteres abgelaufenes Jahr ihres Bestandes; das Niederbrechen des letzten sollte der allgemeinen Annahme nach ihre völlige Vernichtung herbeiführen; dann würde man auf dem Plateau von Orgall vergeblich nach den Ueberresten des Karpathenschlosses suchen.
    Natürlich war das nur eine der Sagen, die von der Phantasie der Rumänen selbst zahlreich geboren werden. Sogar die Behauptung, daß die alte Buche alljährlich einen ihrer Aeste verliere, war keineswegs erwiesen, obwohl Frik stets bereit war, das zu versichern, da er den Baum nie aus dem Gesicht ließ, während seine Heerden sich auf den Weideplätzen an der Sil tummelten. Trotz alledem und obgleich Frik für den letzten Bauer wie für den ersten Beamten von Werst eine Persönlichkeit war, der man nicht Alles glauben durfte, zweifelte doch kein Mensch daran, daß die Burg nicht mehr länger als drei Jahre zu leben habe, da man nur noch drei Aeste an ihrer Schicksalsbuche zählte.
    Der Schäfer hatte also gerade den Rückweg nach dem Dorfe einschlagen wollen, um hier die große Neuigkeit zu berichten, als sich der Zwischenfall mit dem Fernrohre ereignete.
    Eine große Neuigkeit war es in der That! Am Giebel des Wartthurmes hatte sich eine Rauchsäule gezeigt… was er mit bloßen Augen nicht hatte erkennen können, das hatte Frik mit dem Instrumente des Hausirers ganz deutlich gesehen. Es war keine Nebel-oder Dunstwolke gewesen, nein, ein wirklicher Rauch, der nach den Wolken
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