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Das Karpaten-Projekt

Das Karpaten-Projekt

Titel: Das Karpaten-Projekt
Autoren: Werner Schmitz
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Bukarest zu tun. Will heute
Nachmittag hier sein.«

    »Und was ist Ihr Job hier, außer Milchsuppe kochen?«
Hannes ging der einsilbige Kauz langsam auf den Geist.

    »Ich pass aufs Haus auf.«

    »Ah, so«, dehnte Schreiber, »dann können Sie mir sicher
auch mein Zimmer zeigen.«

    »Kann ich.« Der Merresmisch sprang behände auf und
verließ die Küche. Schreiber hinterher. Über eine Holzstiege ging es in den
ersten Stock. Das Zimmer, das Merres ihm auftat, hatte alles, was er brauchte:
Bett, Schrank, Tisch, Stuhl.

    »Badezimmer ist unten neben der Küche«, sagte der Alte
und schloss hinter sich die Tür. Hannes warf noch einen Blick aus dem Fenster
auf den Königstein und fiel rücklings aufs Bett. Er war so müde, dass ihm nicht
mal eine Dylan-Zeile einfiel, die auf den Merresmisch gepasst hätte.

     

5

    Sie hatte kein Signal. Seit dem Abend, an dem der Junge
getötet worden war, hatte sie von Ursel kein Signal mehr empfangen. Katharina
Orend reckte den Arm mit der Telemetrieantenne, so hoch sie konnte, und wartete
auf das »tiek, tiek, tiek« des Empfängers, der in der Lederhülle vor ihrer
Brust baumelte. Es blieb auch an diesem Abend aus.

    Seit vier Monaten trug Ursel das Funkhalsband, das
Katharina ihr angelegt hatte. Ursel war die erste Bärin, die sie besendert
hatte, und dies war ihr erster Job als Wildbiologin. Ursel hatte sie in einer
Bärenfalle gefangen, die sie mit den Förstern am Hang über den Müllcontainern
aufgestellt hatte. Das Ding sah aus wie ein Hundezwinger, nicht ganz so hoch,
dafür aber stabiler gebaut.

    Weil sie ehrlich zu sich war, erinnerte sich Katharina
der Angst, die die im Käfig randalierende Bärin ihr gemacht hatte. Die Hände,
in denen das Blasrohr zitterte, als sie den Betäubungspfeil durch die Gitterstäbe
in den Hintern der Bärin schoss. Ioan, der Förster, der sie begleitete, bekam
ihr Nervenflattern mit und grinste in seinen Schnauz. Als die Hellabrunner
Mischung endlich wirkte, ging Katharina mit weichen Knien in die Falle. Sie
atmete das aasige Aroma des großen Tieres ein und schluckte das Würgen. Mit
Ioans Hilfe vermaß sie die Bärin und schlang ihr den Sender um den Hals.
Gemeinsam wuchteten sie die Betäubte aus der Falle. Nahebei im Unterholz
raschelten und maunzten die Jungen der Bärin.

    Hinter geschlossenen Türen und Fenstern ihres Dacia Pick-ups
warteten sie auf das Erwachen der Bärin. Im Qualm der filterlosen Carpat i -Zigaretten, die Ioan
paffte, einem Kraut, mit dem man zur Not auch Bären betäuben konnte, fiel
Katharina der Name ein: Ursel. Wie ihre Tante Ursula, die in Rumänien geblieben
war, als Katharinas Eltern Anfang der Neunzigerjahre mit ihrer vierzehnjährigen
Tochter nach Deutschland auswanderten. Die Orends waren Siebenbürger Sachsen,
Angehörige der deutschsprachigen Minderheit Rumäniens, deren Vorfahren vor
achthundert Jahren vom ungarischen König im Karpatenbogen angesiedelt worden
waren.

    Nach einer halben Stunde kam Leben in die Bärin. Wacklig
wie ein Fohlen nach der Geburt stand sie vor dem Käfig und glotze die
Eisenstangen an. Torkelnd blickte sie sich noch einmal um und verschwand dann
in den Büschen.

    Vor einem halben Jahr war Katharina nach Rumänien
zurückgekehrt. Als frischgebackene Biologin mit dem Auftrag, das Müllbärenproblem
in Brasov zu lösen. Ihre Professorin hatte ihr den Job verschafft. Katharina
wusste genau, dass die Tierschutzorganisation, die das Projekt finanzierte, sie
nur genommen hatte, weil sie als einzige Bewerberin Rumänisch sprach. Aber das
war ihr egal. Hauptsache, sie konnte endlich anfangen zu arbeiten. Zehn Jahre
hatte sie nach dem Abitur verbummelt, hatte in Kneipen gekellnert und in Callcentern
gejobbt. Es wurde höchste Zeit für einen Anfang im richtigen Leben.

    Katharinas rechter Arm, der immer noch die Antenne in die
Abendluft reckte, war bleischwer. Ohne große Hoffnung, ein Signal von Ursel
einzufangen, marschierte sie noch einmal die Strada Jepilor Richtung Talschluss hinauf. Genau an der Waldkante
hatte ein Ignorant von Stadtplaner, als der Stadtteil Ra c a d a u in den Achtzigerjahren
ins Ragoda-Tal geklatscht worden war, Buchten für die Müllcontainer aufmauern
lassen. Dass in dem Wald Bären lebten und menschlicher Abfall sie magisch
anzog, schien die Plattenbauer von Brasov nicht gekümmert zu haben. Von den
Problemen mit Müllbären im Yellowstone-Nationalpark hatten sie noch nie gehört.
Rumänien unter Ceausescu war von der westlichen Welt
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