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Das Karpaten-Projekt

Das Karpaten-Projekt

Titel: Das Karpaten-Projekt
Autoren: Werner Schmitz
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Bord merkte
Schreiber, dass der Steward keine guten Nachrichten verkündete. Wegen Nebels
könne die Maschine in Sibiu nicht landen, hieß es kurz darauf auf Deutsch. Man
werde nach Timisoara ausweichen.

    »Wo liegt Timisoara?«

    Der Experte von gegenüber wusste auch das. »Vielleicht
250 Kilometer von hier. An der ungarischen Grenze.«

    »Geht ja noch.«

    »Sie waren noch nicht in Rumänien, oder?«

    Schreiber schüttelte den Kopf.

    »Die werden uns mit dem Bus zurückschaffen«, meinte der
Kenner. »Falls sie einen auftreiben. Der braucht dann fünf Stunden bis Sibiu.«

    Der Mann kannte sich aus. Es verging eine Stunde, bis sie
in Timisoara einen Bus gechartert hatten, und weitere fünf, ehe der am
Flughafen von Sibiu hielt. Gegen vier Uhr morgens faltete Hannes seine
Einsneunzig aus der Bank und stakste steifbeinig zum Eingang.

    Terminal war ein großes Wort für den Wartesaal vor dem
Check-in. Er lag im Halbdunkel und war menschenleer. Diana Steinkamp hatte ihm
einen Fahrer schicken wollen, aber Schreiber konnte keinen finden. Er kramte in
seinem Rucksack nach der Karte, die sie ihm ›für alle Fälle‹ in die Hand
gedrückt hatte. Villa Diana, Sat Ma gura 141, Comuna, jud. Brasov. Dorf Ma gura ,
Gemeinde Moieciu, Kreis Brasov. Auf der Landkarte, die Hannes zu Rate zog, sah
das nicht allzu weit weg aus.

    Die Kunde von den gestrandeten Passagieren hatte sich
unter Sibius Taxifahrern schnell verbreitet. Betagte Droschken kurvten vor,
schluckten Koffer und Klienten und verschwanden in der Nacht. Schreiber geriet
an einen jungen Kerl, der »Fiffti Jurro for tu aua« verlangte, nachdem er Diana
Steinkamps Visitenkarte buchstabiert hatte. Hannes dachte an die Erbsenzähler
in der Spesenabteilung, die ihn fragen würden, warum er keine öffentlichen Verkehrsmittel
benutzt habe, nickte und stieg ein.

    In Sibiu hatte sich der Nebel verzogen. Das alte
Hermannstadt der Siebenbürger Sachsen badete in einem diffusen Dunst. Der
Taxifahrer drückte ein Knöpfchen am Armaturenbrett. Aus den Boxen des Dacias drang
Balkanpop. Schreiber streckte sich und schloss die Augen. Manches war mühsam
auf Recherchereisen, aber im Vergleich mit dem Affenzirkus in Berlin war es die
reinste Erholung, in einem rumänischen Taxi vor sich hin zu dösen. Er dachte an
die Karpatenwälder, von denen ihm ein Jagdfreund vorgeschwärmt hatte. Wölfe
hausten dort seit ewigen Zeiten, Tiere, deren Wiederauftauchen in der Lausitz
hysterische Debatten ausgelöst hatte. Begeistert begrüßt von weit weg wohnenden
Städtern, beschimpft und beschossen von beuteneidischen Jägern.

    Nach einer Weile verirrten sich Schreibers Gedanken. Er
genoss dieses Gefühl, immer wenn es sich einstellte. Hannes hatte keine
Erfahrungen mit illegalen Drogen, aber vielleicht war dieses Gefühl
schwerelosen Gedankenflugs zwischen Tag und Traum damit vergleichbar. Wenn er
Glück hatte, schossen ihm dazu Texte durchs Hirn, schöner und schärfer, als er
sie im Wachen jemals formuliert hatte.

    If my thought-dreams could be seen, they
probably put my head in a guillotine. Schreiber hatte zu jeder Gelegenheit
einen passenden Dylan-Vers parat. Der Frau von der Oder, die er immer noch
liebte, war das auf den Senkel gegangen. »Your own personal Jesus« hatte Vera
seine Dylan-Verehrung bespöttelt, den brüchigen Bass des alten Johnny Cash perfekt
nachahmend.

    Der Sänger aus Sibiu, der im Autoradio schmalzte, hörte
sich kein bisschen an wie Bobby D. oder Johnny C. Sein Geknödel holte Schreiber
in die Wirklichkeit zurück. Sie hatten die Stadt inzwischen verlassen und der
Dunst wurde dichter. Auf der Rumänienkarte, die Schreiber im Licht seiner
Kopflampe studierte, sah er, dass die Überlandstraße einem Fluss folgte. Daher
die Milchsuppe, die dicker wurde, je länger sie fuhren.

    Alles wäre halb so schlimm gewesen, wenn die Scheibenwaschanlage
des Taxis funktioniert hätte. Weil sie das nicht tat, verschmierte ein Film die
Frontscheibe, den das menschliche Auge nicht durchdringen konnte, Schreibers
jedenfalls nicht. Er stieß seinen Chauffeur mit dem Ellenbogen an und wies mit
der Nase Richtung Fensterglas.

    »Nu problem«, versetzte der Fahrer. Er stoppte den Wagen
am Fahrbahnrand, zog einen Schuh und Strumpf aus, tauchte die Socke in eine
Pfütze, wienerte damit die Windschutzscheibe und fuhr weiter. Lange hielt der
Durchblick nicht an. Immer öfter stieg der Mann aus, um seine Socke zu
befeuchten. Es waren um diese Zeit nicht viele Fahrzeuge unterwegs.
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