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Das Känguru-Manifest

Das Känguru-Manifest

Titel: Das Känguru-Manifest
Autoren: Marc-Uwe Kling
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folgen?«
    »Gerade so.«
    »Auf einem leeren Platz ist es schwierig, nicht gesehen zu werden. Kurz vor Weihnachten im Berliner Hauptbahnhof hingegen …«
    »Aha.«
    »Darum habe ich diese schmutzige Bombe gebaut«, sagt das Känguru. »Da drin sind unzählige Kleidungsfetzen, Gewebereste, Haare, Bartstoppeln, Hautschuppen und Kippenstummel«, sagt das Känguru. »Wir brechen also ein, und wenn wir fertig sind, aktivierst du einfach den Timer an der Unterseite der Bombe. Wir verlassen den Raum, und drei Minuten später – PUFF – sind dort mehr DNA-Spuren verteilt, als das Labor verarbeiten kann«, sagt das Känguru.
    »Igitt«, sage ich. »Wie eklig.«
    »Das Internet hat mich auf die Idee gebracht«, sagt das Känguru.
    »Was sonst.«
    »Es gibt da so eine Hackermethode … Bei sogenannten Denial-of-Service-Attacken werden nämlich die Dienste eines Servers mit mehr Anfragen bombardiert, als dieser bearbeiten kann. Dann hängt er sich auf.«
    »Das machen ja Menschen auch oft, die mit mehr Anfragen bombardiert werden, als sie bearbeiten können«, sage ich.
    »Und weißt du, was das Schönste an der ganzen Geschichte ist?«, fragt das Känguru. »Friedrich-Wilhelm hat einen Teil der Gewebeproben aus dem Müll eines Promischönheitschirurgen gefischt.«
    »Da wird sich die Polizei aber wundern, wenn sie feststellt, dass die Reichen und Schönen das Produktivitätsregister zerstört haben«, sage ich.
    Das Känguru lächelt.
    »Sie hätten allen Grund dazu, wenn du mich fragst.«
    »Ich werde trotzdem nicht mitkommen«, sage ich.
    »Wieso denn nicht?«
    »›Mich an wahnwitzigen Känguru-Aktionen beteiligen‹ habe ich letztens auf meine Not-to-do-Liste geschrieben.«
    »Schnick, Schnack, Schnuck?«, fragt das Känguru.
    »Ach …«
    »Schnick«, ruft das Känguru.
    »Moment!«, sage ich.
    Das Känguru denkt, dass ich Papier mache. Also nicht Papier. Auf keinen Fall Papier. Also mach ich Schere. Nee, Quatsch. Das Känguru macht Schere. Also mach ich Stein. Aber wahrscheinlich denkt es sich, dass ich das denke, und macht deswegen Stein. Nee, Papier. Also mach ich Schere, aber dann macht das Känguru bestimmt …
    »Ohne Brunnen!«, sage ich.
    »Ist gut«, sagt das Känguru.
    Also wo war ich? Das Känguru macht … äh … Stein. Dann … Oder? Dann mache ich also Papier. Ja. Papier ist gut. Papier. Das Wort ist mächtiger als das Schwert … äh … der Stein. Aber nee. Moment. Das Känguru macht ja bestimmt wieder Schere …
    »Bereit?«, fragt das Känguru.
    »Ja. Okay«, sage ich.
    »Schnick, Schnack, Schnuck«, ruft das Känguru.
    »Jedes Mal, Alter«, sagt es kopfschüttelnd. »Jedes Mal machste Papier.«

    38 Newspeak. Anm. des Kängurus

Wir schleichen durch die Dunkelheit zum Ministerium für Produktivität. Wir sind zu sechst und sehen wahrscheinlich sehr verdächtig aus. Eine denkwürdige Truppe. Gott, der Messias, ein Generalsekretär, ein Reichskanzler, ein Känguru und ein Kleinkünstler.
    Das Ministerium ist ein riesiger kreisrunder Bau mit sieben Stockwerken.
    »Das Gebäude hat 365 große, verspiegelte Fenster, von denen ein jedes durch Fensterkreuze in 24 kleinere Fenster geteilt ist«, sagt Gott.
    »Bist du allwissend, oder was?«, fragt Otto.
    »Das stand bei Wikipedia«, sagt Gott.
    »Glaubt ihr, sie brechen am Beginn jedes Schaltjahres ein weiteres Fenster ins Gebäude und mauern dieses am Ende des Schaltjahres wieder zu?«, frage ich.
    In regelmäßigen Abständen hängen vom obersten Stockwerk Banner, auf denen je einer der Wahlsprüche des Ministeriums zu lesen ist.
    ARBEIT IST FREIZEIT
    WACHSTUM IST FORTSCHRITT
    SICHERHEIT IST FREIHEIT
    Das Känguru hüpft auf den Lieferanteneingang zu. Es tippt einen langen Code in einen kleinen Kasten, und die Tür öffnet sich knackend.
    »Denkt immer daran«, sagt das Känguru. »So viele Spuren wie möglich.«
    Gott zerschlägt die Fenster neben der Tür. Eines von innen und eines von außen. Der Messias zieht eine Axt unter seinem Mantel hervor und zertrümmert das Türschloss. Friedrich-Wilhelm greift in seinen Plastiksack und verteilt mit Ottos Hilfe großzügig DNA-Spuren.
    Wir treten ein. Im Mittelpunkt des Gebäudes steht ein dunkler Turm mit getönten, verspiegelten Scheiben, von dem strahlenförmig Großraumbüros abgehen, die nicht durch Wände, sondern nur durch Plexiglas voneinander getrennt sind.
    »Vom Turm aus kann man jedes einzelne Büro einsehen«, sagt Gott. »Aus den Büros kann man aber nicht in den Turm blicken. Auch die Böden
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