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Das Känguru-Manifest

Das Känguru-Manifest

Titel: Das Känguru-Manifest
Autoren: Marc-Uwe Kling
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eine Scheibe ab.
    »Ist das eigentlich glutenfrei?«, frage ich.
    Das Känguru seufzt.
    »Na, was soll’s«, sage ich.
    »No risk, no fun«, sagt das Känguru, »was?«
    »Ich habe mal ein Gedicht über meinen wählerischen CD-Spieler geschrieben«, sage ich. »Das hieß: No disc, no fun. «
    »Willst du Marmelade auf deine Stulle?«, fragt das Känguru.
    »Ach, nee. Danke«, sage ich und schalte das Radio wieder an.
    »Laut der jüngsten Umfrage des German Institute for Manufacturing Consent (GIFMC)«, sagt der Nachrichtenmann, »zählt Jörg Dwigs inzwischen zu den beliebtesten Politikern des Landes.«
    Das Känguru schaltet das Radio wieder aus.
    »Letztens ist nach einem Auftritt einer zu mir gekommen und hat mich gefragt, wie ich es schaffe, mich die ganze Zeit mit solchen Themen auseinanderzusetzen, ohne total zu verbittern«, sage ich.
    »Und was hast du geantwortet?«, fragt das Känguru.
    »Ich bin total verbittert«, sage ich.

»Wer mit zwanzig kein Kommunist war,
hat kein Herz. Aber wer mit vierzig noch Kommunist ist, der hat keinen Verstand.« Josef Stalin
    Da ich auch von Bier und Wein immer so furchtbare Migräne bekomme, hat das Känguru vorgeschlagen, heute Abend nur Wodka zu trinken. Wodka trinken und dabei youtube-Videos kucken.
    »Hier!«, sagt es. »Kennste schon den Kleinkünstler, der aus Versehen sein Mikrofon verschluckt? Hat mir irgendjemand weitergeleitet.«
    »Klaro. Alter Hut«, sage ich. »Kennste schon das boxende Känguru? Von den Filmpionieren Max und Emil Skladanowsky?«
    »Zeig mal!«
    »Das war einer der ersten Filme überhaupt. Von 1895. Der wurde damals im Wintergarten-Varieté gezeigt. Als Teil von ’nem Kleinkunstprogramm.«
    »Komisch, dass mir das noch niemand weitergeleitet hat«, sagt das Känguru.
    Sehr schwarz-weiß und flackernd sieht man ein mannshohes Känguru mit Boxhandschuhen gegen einen Typ mit stattlichem Schnauzbart boxen.
    »Witzig, was?«, frage ich, als das Video vorbei ist.
    Das Känguru ist merkwürdig still, und sein Blick ist leer.
    »Was’n los?«, frage ich.
    »Das ist nicht witzig«, sagt es.
    »Hä?«
    »Das war mein Urgroßvater.«
    »Was?«
    »Mein Urgroßvater wurde Ende des 19. Jahrhunderts aus Australien verschleppt und jahrelang unter unwürdigen Bedingungen auf Jahrmärkten als ›Boxendes Känguru‹ missbraucht.«
    »Na klar«, sage ich. »Und mein Urgroßvater stand daneben, als Marktschreier vor der Bude mit dem astronomischen Pferd.«
    Das Känguru schüttelt entschieden den Kopf. Etwas in seinem Blick zügelt meinen Spott.
    »Selbst wenn deine Geschichte stimmt …«, sage ich. »Es wurden bestimmt viele Kängurus verschleppt. Woher willst du wissen, dass das auf dem Video ausgerechnet dein Urgroßvater ist?«
    »Mach noch mal an«, sagt das Känguru. »Hier, siehst du, wie er seinen rechten Haken schlägt?«
    »Und?«, frage ich.
    Das Känguru verpasst mir einen rechten Haken.
    »Merkste was?«, fragt es.
    E R I N N E R U N G S L Ü C K E 37
    »… und sein einziger Freund war der Tanzbär«, sagt das Känguru und kippt noch einen Wodka. »Während des Ersten Weltkrieges dann, als der Jahrmarkt durch die halbwegs sichere Schweiz tourte, gelang es meinem Urgroßvater zu fliehen. Er fand Unterschlupf in Zürich. In der Spiegelgasse 14. Bei einem Russen. Wladimir Iljitsch Uljanow. Der Mann ist dir vielleicht ein Begriff … Im Februar 1917 dann überredete mein Urgroßvater Lenin, nach Russland zurückzukehren. Zusammen fuhren sie im versiegelten Zug der deutschen OHL …«
    »OHL?«
    »Die Oberste Heeresleitung. Hindenburg, Ludendorff und die Säcke. Jedenfalls in einem Zug der OHL fuhren die beiden durch das Deutsche Reich, weiter nach Schweden, Finnland und schließlich nach Russland. Aus den ersten Tagen der Revolution gibt es viele Fotos von meinem Urgroßvater mit Lenin, Trotzki …«
    »Und dem Weihnachtsmann …«, murmle ich.
    »Natürlich wurde er später aus allen Bildern rausretuschiert.«
    »Natürlich«, sage ich. »Wie der Weihnachtsmann.«
    »Gewisse Methoden haben ihm nicht gefallen. Auch hat er sich mit einem Emporkömmling namens Dschughaschwili überworfen.«
    »Wahrscheinlich wegen dem Schnauzbart«, sage ich und deute auf den Mann in dem Video.
    »Irgendwann um den Jahreswechsel verlieren sich seine Spuren«, sagt das Känguru.
    »Ist der Tanzbär nach Mexiko geflohen, später aber von einem Häscher mit einem Eispickel ermordet worden?«, frage ich.
    »Mach dich nicht lustig«, sagt das Känguru und droht mir mit
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