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Das Janusprojekt

Das Janusprojekt

Titel: Das Janusprojekt
Autoren: Philip Kerr
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ihren jüdischen Eigentümern weggenommen wurde. Sie hätten vielleicht etwas Unauffälligeres gewählt.» Ich lächelte Eichmann an. «So was wie Reisevertreter einer Ölfirma vielleicht.»
    Hagen begriff. Aber Eichmann war immer noch zu aufgebracht, um zu kapieren, dass ich ihn veräppelte.
    «Franz Reichert», sagte er. «Vom deutschen Pressebüro in Jerusalem. Den kann ich anrufen. Er wird wohl wissen, wie man Feivel Polkes erreichen kann. Aber ich habe keine Ahnung, wie wir Hadsch Amin benachrichtigen sollen.» Er seufzte. «Was sollen wir bloß machen?»
    Ich fragte: «Was hätten Sie denn jetzt gemacht? Heute. Wenn Sie Ihr Dreißig-Tage-Visum gekriegt hätten.»
    Eichmann zuckte die Achseln. «Vermutlich hätten wir die deutsche Freimaurerkolonie in Sarona besucht. Wären auf den Karmel gefahren. Hätten uns ein paar jüdische Landwirtschaftssiedlungen im Jezreeltal angesehen.»
    «Dann würde ich Ihnen raten, genau das zu tun», sagte ich. «Rufen Sie Reichert an. Erklären Sie ihm die Situation, und gehen Sie morgen wieder an Bord. Das Schiff fährt doch morgen schon nach Ägypten weiter, oder nicht? Gehen Sie doch einfach zur britischen Botschaft in Kairo und beantragen Sie dort noch einmal ein Visum.»
    «Er hat recht», sagte Hagen. «Das sollten wir tun.»
    «Wir können neue Anträge stellen», rief Eichmann aus. «Natürlich! Wir können uns die Visa in Kairo holen und dann auf dem Landweg wieder hierherreisen.»
    «Wie die Kinder Israel», sagte ich.
    Die Kutsche verließ jetzt die engen, schmutzigen Gassen der Altstadt und fuhr schneller, als wir auf eine breitere Straße kamen, die in die neue Stadt Tel Aviv führte. Gegenüber von einem Glockenturm und mehreren arabischen Kaffeehäusern lag die Anglo-Palestine Bank, wo ich mit dem Filialleiter sprechen und ihm die Beglaubigungsschreiben von Begelmann und dem Bankhaus Wassermann übergeben sollte. Und natürlich den Truhenkoffer, den ich für Begelmann außer Landes gebracht hatte. Ich hatte keine Ahnung, was darin war, aber dem Gewicht nach handelte es sich wohl kaum um seine Briefmarkensammlung. Ich sah keine Veranlassung, den Besuch der Bank noch hinauszuschieben. Nicht in einer Stadt wie Jaffa, die voller feindselig wirkender Araber war. (Sie hielten uns wahrscheinlich für Juden. Und für Juden hatte die einheimische palästinensische Bevölkerung nicht viel übrig.) Also ließ ich den Kutscher anhalten. Den Truhenkoffer im Gepäck und die Briefe in der Tasche stieg ich aus, und Eichmann und Hagen fuhren mit meinen übrigen Sachen weiter zum Hotel.
    Der Filialleiter war ein Engländer namens Quinton. Seine Arme waren zu kurz für sein Jackett, und sein helles Haar war so fein, dass es kaum vorhanden schien. Er hatte ein Stupsnase, umgeben von Sommersprossen, und ein Lächeln wie eine junge Bulldogge. Unwillkürlich sah ich im Geiste Quintons Vater vor mir, der ganz genau aufpasste, was der Deutschlehrer seines Sohnes sagte. Das konnte kein schlechter Lehrer gewesen sein, denn Mr.   Quinton sprach ein ausgezeichnetes Deutsch mit einer so inbrünstigen Modulation, als deklamierte er Goethes «Die Zerstörung Magdeburgs».
    Quinton führte mich in sein Büro. An der Wand hingen ein Cricketschläger und Fotos von unterschiedlichen Cricket-Teams. Ein Deckenventilator kreiste träge vor sich hin. Es war heiß. Durchs Fenster hatte man einen prächtigen Blick auf den Mohammedanischen Friedhof und das dahinterliegende Mittelmeer. Die Uhr des nahen Turms schlug die volle Stunde, und der Muezzin der Moschee auf der anderen Seite der Howard Street rief die Gläubigen zum Gebet. Berlin war weit, weit weg.
    Er öffnete die Umschläge, die mir anvertraut worden waren, mit einem Brieföffner, der wie ein kleiner Krummsäbel geformt war. «Stimmt es, dass es Juden in Deutschland verboten ist, Beethoven oder Mozart zu spielen?», fragte er.
    «Es ist ihnen verboten, Werke dieser Komponisten auf jüdischen Kulturveranstaltungen zu spielen», sagte ich. «Aber erwarten Sie von mir keine Erklärung. Ich habe keine. Wenn Sie mich fragen, ist das ganze Land verrückt geworden.»
    «Sie sollten mal versuchen, hier zu leben», sagte er. «Hier gehen sich die Juden und die Araber gegenseitig an die Gurgel. Und wir sind mittendrin. Es ist eine unmögliche Situation. Die Juden hassen die Briten, weil wir nicht noch mehr Juden ins Land und in Palästina leben lassen. Und die Araber hassen uns, weil wir überhaupt Juden ins Land lassen. Aber eines Tages wird uns dieses
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