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Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman

Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman

Titel: Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman
Autoren: Gunter Gerlach
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tat ihm gut. (Irgendwie war es sicherer.)
    »Das erzählen Sie mal meiner Frau.«
    Der Internist lächelte. »Machen Sie bitte den Oberkörper frei.« Er wies auf die lederbezogene Liege. Während der Bauer sich auszog, stellte sich der Arzt ans Fenster und befragte ihn nach Lebensgewohnheiten und Ernährungsweise.
    »Und ... äh, trinken Sie?«
    »Viel Wasser.«
    »Was?«
    »Sie wissen schon.«
    »Aha.« Der Arzt wußte, daß im Gasthaus sogenanntes Herzensacher Heilwasser ausgeschenkt wurde – ein vermutlich schwarzgebrannter Schnaps. »Und sonst?«
    »Ein Glas Bier, manchmal zwei.«
    »Es können aber auch ein paar mehr sein?«
    Er bekam nur ein Brummen als Antwort.
    »Aha«, diagnostizierte er.
    »Das wollen Sie mir doch nicht nehmen?!«
    Der Arzt blieb am Fenster stehen und sah auf seine Uhr. In Erwartung des kommenden Bildes biß er wütend die Zähne zusammen: Ein roter Wagen näherte sich, parkte vor seinem Haus. Der Fahrer stieg aus, ging über die Straße in das Geschäft von Dorothee Wischberg. Er kannte den Mann – asthmatische Beschwerden, leichtes Rheuma, ein Gärtner, der in der Weinsteiner Baumschule arbeitete und jeden Tag auf seinem Weg von und zu seiner Wohnung in Ehrenfelde hier anhielt, um sich Zigaretten zu kaufen, von deren Konsum Doktor Bernhard Andree hinsichtlich der geschädigten Bronchien dringend abgeraten hatte. Eine gemeine Provokation.
    Die Kirchturmuhr schlug, und Doktor Andree schüttelte den Kopf. Wieder kam der Glockenschlag drei Minuten zu spät. Seinem Freund, Pastor Pedus, war es trotz seines ausgeprägten Sinnes für Mechanik und seiner Bastelleidenschaft nie gelungen, die Uhr zu reparieren. In der Kirchenleitung hielt man eine Differenz von drei Minuten nicht für ausreichend, einen Uhrmacher zu beauftragen.
    »Wenn es nur Wasser ist«, lachte er, um die vermeintliche Spannung aus der Untersuchung zu nehmen. Er wollte sich schon vom Fenster wegdrehen, da bemerkte er den Hund, der kurz schnüffelnd an dem roten Wagen stehenblieb und dann in schnellem Trab weiter die Straße entlanglief. Der Arzt beugte sich vor, um zu sehen, ob das große Tier bei der Kirche zu seinem Herrn, dem Pastor, einbog. Aber der Hund kreuzte die Straße, ging auf die kleine Verkehrsinsel zu, die durch die Abzweigung der Cornelius-van-Grunten-Straße von der Dorfstraße entstanden war. Die neue Straße, ein ehemaliger Schotterweg, seit vier Jahren asphaltiert, beschrieb einen Halbkreis und stieß in Höhe des Gutshauses wieder auf die Dorfstraße. Auf der Verkehrsinsel stand eine alte Friedenseiche, 1871 gepflanzt, mit einer verwitterten Bank davor. Wenn es nach dem Wurstfabrikanten Wilhelm Weber ginge, würde hier demnächst ein Brunnen mit der Plastik eines Schweines errichtet, aus dessen Schnauze eine Fontäne kommen sollte. Zum Glück konnte sich der wahrscheinlich reichste Dorfbewohner mit seinen geschmacklosen Verschönerungsplänen nicht immer durchsetzen. Schon der moderne Bungalow des Wurstfabrikanten war dem Arzt – und nicht nur ihm – ein Dorn im Auge, hatte ihn Wilhelm Weber doch mit einem Vordach versehen, das von fünf griechischen Säulen getragen wurde. Der Hund umrundete die Friedenseiche und urinierte an ihren Stamm.
    »Trivial.« Der Arzt schüttelte den Kopf.
    »Was?« kam es von der knarrenden Untersuchungsliege.
    »Der Hund.« Wie hatte man einem so mächtigen Tier einen solchen Namen geben können: Trivial! Der Pastor behauptete, der Hund hätte eines Tages in seinem Garten gesessen und ihn angeschaut, und aus irgendeinem unerklärlichen Grund sei ihm dieser Begriff durch den Kopf gegangen. Trivial! (So etwas ging einem gesunden Menschen angesichts eines Hundes nicht durch den Kopf!) Niemand wußte, woher der Hund kam. Nachforschungen und eine Kleinanzeige im ›Weinsteiner Boten‹ waren ohne Ergebnis geblieben. Das große Tier hatte sofort auf diesen seltsamen Namen gehört und den Pastor als seinen Herrn anerkannt, obwohl der Geistliche sich wenig um den Hund bemühte. Trivial trottete den ganzen Tag durch das Dorf und die Feldwege entlang, sah den Bauern bei der Arbeit zu und kam nur zum Fressen und Schlafen zum Pastor zurück.
    »Der bringt Glück«, sagte der Bauer.
    »Ich weiß.« Der Arzt wandte sich endlich vom Fenster ab und ging zu seinem Patienten, der mit nacktem Oberkörper, kräftigen Armen und Schultern, aber eingefallener Brust und kugelförmigem Bauch auf der Liege saß. Ein abgearbeiteter Körper. Der Bauer war – wie der Arzt – ein Außenseiter, einer
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