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Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Titel: Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman
Autoren: Dittrich Verlag GmbH
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mich aber, den Klugscheißer zu spielen, denn ich war scharf auf das Bad. »Ich heiße übrigens Hans Lubkowitz«, stellte ich mich vor – und damit hatte ich ihn weggelotst von dem mystischen Scheiß.
    Der 50er-Jahre-Typ nannte ebenfalls, offensichtlich erfreut über meine Zutraulichkeit, seinen Namen: »Fred Fink, sehr angenehm.« Und schon hatte ich seine weiche Hand, die männlich-fest zuzudrücken versuchte, in meiner Hand, die ziemlich dreckig war und sich nach Wasser und Seife sehnte, den Druck aber gern erwiderte. Mittlerweile war ich davon überzeugt, dass dieser Elvis-Fan mit mir kein Scheißspiel vorhatte.
    Um diese Tageszeit fuhren stündlich Züge in Richtung Frankfurt.
    Ich war nie zuvor in Friedberg gewesen, hatte allerdings den markanten Burgturm schon aus der Ferne gesehen – aus dem Zugfenster, um genau zu sein. Bis zur Ludwigstraße war es nicht weit. Schöne, um die Jahrhundertwende erbaute Häuser. Großzügige Vier-Zimmer-Wohnung im zweiten Stock, nach dem Geschmack einer welkenden Generation eingerichtet, der Geruch einer vergangenen Epoche schwebte durch den Flur und erinnerte mich an mein Elternhaus.
    »Ich wohne hier mit meiner Mutter«, entschuldigte sich Fred, der gar keinen Grund hatte, sich zu entschuldigen, schon gar nicht vor mir, dem abgebrannten Vagabunden. Dann öffnete er die Tür zu seinem Reich. Ein großes Zimmer – an einer Wand Regale, vollgestopft mit Schallplatten, Büchern über Elvis, Rock’n’Roll, Jazz, die Beat-Generation, mit Büchern von Allen Ginsberg, Jack Kerouac, William S. Burroughs, Ernest Hemingway, Truman Capote, Hubert Fichte, Albert Camus und J. D. Salinger, Textbüchern mit Elvis-Songs, Bob-Dylan-Songs, Beatles-Songs, Notenbüchern mit Blues-, Jazz- und Soul-Stücken, mit stapelweise Zeitungen und Magazinen mit Berichten über Elvis – und eine tolle Stereo-Anlage. Auf den restlichen Wänden überall Elvis: Filmplakate, Konzertplakate, Fotos, Zeichnungen. Außerdem befanden sich in dem Zimmer zwei mit Samt bezogene Sessel, ein Schreibtisch mit Bürostuhl davor, ein Bett mit einer schimmernden, gesteppten 30er-Jahre-Tagesdecke darauf und eine E-Gitarre, eine Fender, wie ich feststellte.
    »Wie du siehst«, sagte Fred, bedeutungsschwer auf die Bücher zeigend, »bin ich nicht nur Rocker, sondern auch Existentialist. Anfangs empfand ich das selbst als paradox, sogar als schizophren, doch es lässt sich miteinander vereinbaren, es gibt Beziehungspunkte. If you know what I mean.«
    »Klar doch«, antwortete ich, ohne dabei lügen zu müssen, denn ich war schon zehn Jahre zuvor davon überzeugt gewesen, dass man in Jack Kerouacs
Unterwegs
alle Bebop-Passagen ohne Abstriche in Rock’n’Roll verwandeln könnte – okay, dann mit mehr Gitarre und weniger Saxophon –, weil das Ekstatische unverändert bliebe.
    In der Badewanne wurden die grauschwarzen Gedanken, die sich mahlend mit meiner Situation und der damit verknüpften unsicheren Zukunft befassten, erst einmal vom wohligen Embryo-im-Mutterbauch-Gefühl zur Seite gedrängt. Das erste Wannenbad seit sieben Jahren – und dazu noch mit einer Fichtennadel-Badetablette, die während ihrer langsamen Auflösung leicht sprudelte. Normalerweise war ich kein Freund von Fichtennadelduft. Erinnerte mich zu sehr an den Geruch im Badezimmer meiner Tante Hedda, einer vertrockneten Jungfer, in deren Wohnung die allerstrengsten Benimmregeln galten. Aber heute fand ich die sanft sprudelnde Badetablette trotz des Fichtennadeldufts einfach himmlisch. Kindlich zufrieden schaute ich mich um. Gekachelter Raum, Blümchenmuster, es roch so privat, so intim – die Welt jenseits der Gefängnismauern. Sieben Jahre Gemeinschaftsduschen mit einem Rudel hässlicher Kerle, von denen einige stets einen Ständer vor sich herschoben, da musste man verdammt aufpassen, wenn man sich bückte. Manche waren knastschwul, also draußen durchaus dem anderen Geschlecht zugeneigt, aber hinter Gittern würden sie ihre Gurke sogar in einen schuppigen Waldschrat schieben.
    Allmählich klangen die Kopfschmerzen ab, das Gehirn funktionierte wieder einigermaßen, beruhigende Gedanken blubberten an der Oberfläche, Gedanken wie: Alles ist besser als der Knast, das Abenteuer letzte Nacht war derb, aber immerhin intensiv und schon deshalb besser als die Zellenträume vom intensiven Abenteuer da draußen in der Wildnis. Freiheit bedeutet Wildnis, zumindest wenn man jung ist. Und ich fühlte mich mit meinen einunddreißig Jahren noch recht jung.
    Fred
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