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Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Titel: Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman
Autoren: Dittrich Verlag GmbH
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von Del Shannon, wie einige Leute meinten. Aber Scheiße. Ich begann eine Lehre im 18 Kilometer entfernten Kitzingen, im Hotel
Fränkischer Hof
, dem besten Haus am Platz. Der einzige Vorteil: Ich wohnte auch dort, zusammen mit zwei anderen Lehrlingen in einer Dachkammer, und fuhr nur an meinen freien Tagen nach Hause. Das bedeutete, dass ich mich nachts nach der Arbeit aus dem Haus schleichen konnte, in die Ami-Bars, in denen ich bald einen Haufen GIs kannte, von denen ich Zigaretten schnorrte, die ich lässig mit ›hi, man, how ya doin’?‹ begrüßte, von denen ich auch Bier spendiert bekam. Manche von ihnen traf ich im Sommer im Freibad. Da war einer, ein lockerer Vogel aus Kansas City, der immer eine Gitarre dabei hatte. Er spielte verdammt gut, Blues und Rock’n’Roll, und als er einmal das Chuck-Berry-Stück
Sweet Little Sixteen
spielte, sang ich einfach mit, und alle GIs um uns herum waren total geplättet. Und einer sagte ›wow, this guy’s the first German I know, who found out what Rock’n’Roll really means‹, was ich als das größte Lob in meinem bisherigen Leben empfand. Mit diesem Burschen aus Kansas City, der übrigens Charly Browning hieß und nach dem Titel des Coasters-Hits Charly Brown genannt wurde, hing ich tagsüber und nachts oft herum. Ein ziemlich durchtriebener Bursche. Er lehrte mich, Bourbon zu trinken, die Fäuste richtig einzusetzen und Autos zu knacken, um darin, scheiß der Hund drauf, besoffen durch die Nacht zu fahren, einfach so. Waren zwar keine Ami-Schlitten, die wir knackten, sondern meistens deutsche Mittelklassewagen, Kassettenrekorder gab’s damals noch nicht, aber es machte trotzdem Spaß, war Abenteuer pur. Mit Charly Brown fühlte ich mich in jeder Kaschemme sicher, ob in der von Rednecks besuchten
Hillbilly Bar
, ob in dem Kellergewölbe der
La Paloma Bar
oder in der nach Rock’n’Roll, Schweiß und Gewalt riechenden
Atlantic Bar
, in der an den Wochenenden Rock’n’Roll-Bands einheizten, vor allem Holländer indonesischer Abstammung mit ziemlich langen, nach hinten geklatschten Haaren, ob in dem Dreckloch
Hole in the Wall
oder im
Jambalaya
, gleich die enge Kopfsteinpflastergasse neben dem Hotel hoch, wo dicke ältere schwarze GIs aus den Südstaaten von dicken deutschen Schlampen bedient und auch sonst verwöhnt wurden, während aus der Musikbox zu jeder Tageszeit phantastische schwarze Musik geblasen wurde, größtenteils Sachen, die ich gar nicht kannte, die, wen wundert’s, in Kitzingens einzigem Plattenladen völlig unbekannt waren, Scheiben aus der PX, mit Blues und Boogie getränkte Stücke, die mir mehr als einmal eine Gänsehaut verschafften – wegen der Stimmen, Gitarren, Pianos und Saxophone, wegen des lässigen Swings, wegen dieser anderen Welt, in die ich zwar schon hineingerochen hatte, in die ich bereits durch die Songs von Fats Domino, Ray Charles und Sam Cooke hatte hineinschlüpfen können, aber nicht allzu weit, sozusagen nur bis in die Diele des
House of Soul
.
    Charly Brown kam mit jedem klar – und wenn nicht, was auch ein paarmal vorkam, wusste er sich gut zu behaupten. Er war ein wirklich wilder Typ, und ich, der damals 16-jährige, bewunderte ihn. Er war, ich würde sagen, auf eine kindliche, nicht gerade unschuldige, aber vom Bösen weit entfernte Weise amoralisch, als wäre er der Phantasie eines Charles Dickens entsprungen. Sein früher Tod hatte ja auch diesen Lebe-schnell-stirb-jung-Charakter und berührte mich sehr. Auf dem Weinfest in Iphofen belästigte er eine dralle Schönheit, die ihn kurzerhand mit einer Flasche 1962er Iphöfer Burgweg, Sylvaner, erschlug, wie ich von seinem Freund Jesse Boggs erfuhr.
    Auf jeden Fall hatte ich von ihm eine Menge gelernt. Autos knacken und fahren, mindestens zwanzig Song-Texte, und vor allem eine andere Sicht der Welt, die mich allerdings mit meinen Eltern, mit den Arbeitskollegen und dem Chef, überhaupt mit allen
anständigen
Leuten von da an ständig kollidieren ließ. Na ja, kurz und gut, ich beendete zwar die Lehre, war aber für das normale Berufsleben nicht mehr zu gebrauchen. Ein paarmal stand ich als Sänger einer Schüler-Beat-Gruppe auf Gemeindesaal- und Hinterzimmerbühnen, hatte mir längst das Saufen angewöhnt, klaute manchmal ein Auto, um damit durch die Nacht zu fahren, und dann sah ich zum ersten Mal ein Gefängnis von innen. Neun Monate. Als ich wieder rauskam, arbeitete ich eine Zeitlang als Koch, dann klaute ich wieder Autos. Diesmal, um sie zu verkaufen. Ich
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