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Das irische Erbe

Das irische Erbe

Titel: Das irische Erbe
Autoren: Dagmar Clemens
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Direktor des Konzerns, seinen Neffen auf die freie Position zu hieven. Da sie eigentlich mit einer Beförderung gerechnet hatte, beschwerte sie sich nach Pessoas Arbeitsantritt beim Betriebsrat und nannte ihn einen unerfahrenen Neuling ohne jede Praxis. Er musste davon erfahren haben, denn er lehnte sie von Anfang an ab. Unmissverständlich. Er ließ ihr nicht alle Informationen zukommen, nahm sie nicht sofort in seinen Verteiler auf und besprach sich nicht mit ihr. Patricia war meistens besser informiert als sie, was diese ihr auch gerne demonstrierte. Die Dinge liefen einfach nicht gut, dachte sie und schloss einen Moment die Augen.
    Erst als die Stimme der Stewardess sie zum Anschnallen aufforderte, merkte sie, dass sie eingeschlafen war. Sie reckte sich. Es war dunkel, fast zehn Uhr. Auch der Schnarcher war aufgewacht und kramte hektisch in seiner Tasche herum.
    Während der Landung versuchte sie einen Blick aus dem Fenster zu erhaschen, sah aber außer der erleuchteten Landebahn nur vereinzelte Lichter.
    Sie musste fast eine halbe Stunde auf ihren Koffer warten und beobachtete die beiden Frauen, sie dicht nebeneinander standen und leise miteinander sprachen. Sie berührten sich immer wieder kurz und schienen sehr ineinander verliebt zu sein.
    Warum mochten sie sich nicht für das andere Geschlecht interessieren, überlegte sie flüchtig.
    Dann begann das Kofferband zu laufen und sie spähte nach ihrer Reisetasche. Sie war natürlich die letzte auf dem Band. Müde zog sie sie hinunter, packte den Griff fest und marschierte los.
    Sie sah Tim sofort. Er hatte abgenommen. Bestimmt fünf Kilo. Sein Gesicht war schmaler, als sie es in Erinnerung hatte, und er war blass. Sein Haar war offenbar längere Zeit nicht mehr geschnitten worden. Er lächelte sie zaghaft an.

4
    S ie umarmte ihn und erschrak, als sie einen knochigen Körper spürte. Er musste noch mehr abgenommen haben.
    Er bestand darauf, ihren Koffer zu tragen, und fragte pflichtbewusst: »Wie war dein Flug?«
    »Ach, es ging so. Ich saß neben einem dicken Mann, der die ganze Zeit über schlief und schnarchte. Und vor mir saßen zwei Kinder, die mich durch die Lücke zwischen den beiden Sitzen beobachteten, als sei ich eine Außerirdische. Und ich bin müde.«
    »Verstehe ich«, sagte Tim einsilbig.
    »Wie weit ist es denn noch bis zu dir?«, fragte Claire.
    »Nicht weit, zwanzig Minuten.«
    Sie gingen in ein dunkles Parkhaus. Es roch nach Benzin und anderen Substanzen, an die sie lieber nicht denken wollte. Tim blieb vor einem alten Fiesta stehen, der seine beste Zeit schon lange hinter sich hatte. An verschiedenen Stellen zeigte sich Rost, am Kotflügel zählte sie zwei Beulen. Wie gut, dass er sein Geld nicht in Autos investiert, dachte sie. Autos interessierten ihn nicht.
    Er öffnete den Kofferraum und sie sah Ledergurte, einen einzelnen Reitstiefel, eine Decke mit daran haftenden hellen Haaren und jede Menge Strohschnipsel.
    »Ist das dein Wagen?«, fragte sie.
    »Ja, das heißt, nein, er gehört eigentlich Nina.«
    Nina.
    Sie stiegen ein und fuhren los. Sie wartete darauf, dass er etwas erzählte, von Nina oder den Schwierigkeiten, die zur Trennung geführt hatten. Aber er blieb stumm.
    »Wie ist Nina denn weggekommen?«, fragte sie vorsichtig.
    »Sie wurde von Freunden abgeholt«, er hörte sich deprimiert an und sie fragte nicht weiter. Sie würden genug Zeit haben, um darüber zu reden. Die Dunkelheit und das leise Motorengeräusch hatten eine einschläfernde Wirkung. Die Augen fielen ihr fast zu und sie freute sich aufs Bett. Morgen würde sie etwas länger schlafen und dann mit Tim reden. Sie drehte den Kopf in seine Richtung. Er sah starr geradeaus und presste die Lippen aufeinander. So hatte er immer ausgesehen, wenn er von ihrer Mutter ausgeschimpft wurde. Sie unterdrückte ein Seufzen.
    In der Ferne waren Lichter zu sehen.
    »Was ist das?«, fragte sie.
    »Galway.«
    »Galway. Ich glaube, davon habe ich schon gehört. Wenn mich nicht alles täuscht, hat mein früherer Chef dort Verwandte. Die hat er öfter besucht. Ich habe sogar Fotos gesehen.«
    »Ich werde es dir zeigen. Wir können morgen oder übermorgen einmal hinfahren. Ich will dir sowieso das Land zeigen«, seine Stimme hob sich. »Hier gibt es einige ganz wunderbare Flecken. Du glaubst nicht, wie schön Irland ist.«
    Die Begeisterung in seiner Stimme konnte die Trauer um Nina nicht vollständig überlagern.

    Kurz darauf verließen sie die Schnellstraße und fuhren auf einer
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