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Das irische Erbe

Das irische Erbe

Titel: Das irische Erbe
Autoren: Dagmar Clemens
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vom letzten Mal war nicht da. Stattdessen erschien eine ältere Frau, lächelte freundlich und kam an den Tisch. Fragend hob sie die Augenbrauen. Claire suchte ihre wenigen irischen Vokabeln zusammen und bestellte sich einen Tee. Die Wirtin dankte auf Englisch und verschwand hinter der Theke.
    Es waren eine ganze Menge Bilder, die an den Wänden hingen. Das war ihr beim letzten Mal nicht aufgefallen. Jede freie Stelle war von einem Bild bedeckt. Sie stand wieder auf und trat näher. Einige waren sogar signiert. Sie kannte die dargestellten Blumen nicht, aber sie wirkten echt und ganz natürlich. Manche waren mit winzigen Pinselstrichen gezeichnet oder mit kleinen Tupfen. Die Farbzusammenstellung war gut. Alles passte.
    Als die Wirtin mit einer dampfenden Tasse Tee erschien, ging sie wieder an ihren Tisch.
    »Ich habe gesehen, wie Sie sich die Bilder ansahen«, sie deutete mit dem Kopf in die Richtung. »Interessieren Sie sich für Gemälde?«
    Ohne Umstände setzte sie sich zu ihr.
    »Oh, ich weiß nicht. Sie sind mir aufgefallen«, sagte Claire vage.
    »Sie stammen von einer Frau, die ich flüchtig kannte. Ist schon lange her.«
    »Sie kannten sie persönlich?«
    »Ja, aber eigentlich hat niemand sie wirklich gekannt. Sie hatte irgendwo ein Zimmer und führte den Haushalt. In ihrer Freizeit saß sie hier und hat gemalt. Stundenlang. Sie war immer so traurig.«
    »Wann war das?«
    »Ende der Sechzigerjahre. Sie war ungefähr in meinem Alter und sehr hübsch.«
    »Wissen Sie, wie sie hieß?«
    »Nein, ich habe ihren Namen nie erfahren. Aber sie hat die Bilder mit MC signiert. Das werden wohl ihre Initialen gewesen sein.«
    Sie wirkte auf einmal nachdenklich.
    »Ich habe sie und einen Mann einmal zusammen gesehen. Sie waren hier und tranken Tee. Aber dann kam sie nur noch alleine und hat gemalt, bis auch sie wegblieb. Ich glaubte damals, sie sei auf eine der Inseln gegangen. Weil sie manchmal davon sprach, dass sie dort leben wollte. Und eines Tages war sie fort. Ich habe sie nie wieder gesehen.«
    Einen Moment schwiegen sie beide, dann fragte Claire nach dem jungen Mädchen mit dem Pferdeschwanz und die Wirtin erzählte ihr, das sei Bridget gewesen, ihre Enkelin, die unbedingt nach Amerika wolle.
    »Sie will Sängerin werden, wie die großen Stars, für die sie so schwärmt. Aber ich glaube nicht, dass sie das schafft.«
    Wenig später bezahlte Claire.
    »Die Inseln sind sehenswert«, sagte die Wirtin und steckte das Geld ein. »Sie sollten sie sich bei Gelegenheit einmal ansehen. Am schönsten ist die Inishere. Die liebte sie besonders.«
    »Ja«, Claire musterte das tiefrote Haar der Frau und ihre immer noch intensiv wirkenden dunkelblauen Augen. »Dorthin wollte ich auch. Ich lasse mich gleich übersetzen.«

    Sie fuhr weiter nach Doolin, das direkt an der Küste lag. Dort sicherten zwei Fähren den Anschluss an die drei Inseln. Sie wurde etwas nervös. Was, wenn die Fähren nicht in Betrieb waren? Es war etwas Wind aufgekommen. Sie kannte sich nicht aus, dachte sich aber, dass es auf See noch mehr stürmen würde. Deshalb hatte sie auch überlegt, ob sie nicht fliegen sollte. Aber sie hatte sich für den Weg über das Wasser entschieden. Das kam ihr romantischer vor.
    Der Fährhafen in Doolin war relativ klein, aber sie war nicht der einzige Fahrgast. Ein schon älterer Mann und eine Gruppe von fast zehn Jugendlichen warteten mit hochgezogenen Schultern unter einem kleinen Unterstand, der sie nur unzulänglich vor dem Wind schützte.
    Sie stellte sich dazu und fing Wortfetzen auf. Der Mann betrieb eine Sprachschule und konnte von seinem Haus in der Galway Bay aus direkt auf die Aran Inseln blicken, wie er erklärte. Weil ihn die Inselgruppe so begeisterte, wollte er sie möglichst vielen Menschen zeigen und fuhr daher mit neuen Schülern als Erstes zu den Inseln.
    Claire fühlte sich von seinen Worten berührt und hoffte, dass sie dieses Land eines Tages genauso lieben würde wie dieser Mann.
    Dann erschien die Fähre, die sicher schon bessere Zeiten gesehen hatte, und legte an. Claire folgte den anderen. Auf dem Wasser war es tatsächlich noch windiger und kälter. Froh über ihre warme Jacke, zog sie die Schultern hoch und kauerte sich in eine windgeschützte Ecke. Der Mann redete immer noch.
    Einer der Schüler fragte ihn gerade, ob es auf der Insel eine Bank gebe. Er schüttelte den Kopf und sagte, dass einmal wöchentlich Bankangestellte kämen, bei denen alle Geldgeschäfte erledigt werden könnten. Die
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