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Das Intercom-Komplott

Das Intercom-Komplott

Titel: Das Intercom-Komplott
Autoren: Eric Ambler
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wohl eher zu den Märchenerzählern zu rechnen sei. So, wie die Dinge nun standen, konnte ich alles nur mit größter Vorsicht betrachten, und ich durfte auch nicht vergessen, daß der Autor aus unerfindlichen Gründen und unter merkwürdigen Umständen verschwunden war.
    Latimer hatte meine Lage einmal als die eines Zufallszeugen bei einem Banküberfall umschrieben. War er nun etwa in die gleiche Situation geraten?
    Zwei Monate nach seinem Verschwinden besuchte mich sein Londoner Verleger. Ich besprach mit ihm einige der Fragen, die ich gerade erwähnte. Das Ergebnis unserer Verhandlung war, daß ich die Erlaubnis erhielt, während Latimers aller Wahrscheinlichkeit nach erzwungener Abwesenheit als redaktioneller Deus ex machina zu fungieren, dessen Aufgabe es war, soviel Material wie nur möglich zu sammeln und einige der schlimmsten Lücken zu füllen. Zuerst sollte ich nach Mallorca fahren und versuchen, Kontakt mit Oberst Jost aufzunehmen. Wenn dies gelang – was freilich sehr unwahrscheinlich war –, hatte ich herauszubekommen, ob er zu einem Interview bereit war. Wenn er absagte, konnte ich ihn immerhin um eine schriftliche Äußerung bitten.
    Am Ende der ersten Augustwoche flog ich nach Mallorca.
    Latimers Haus stand auf einem Hügel über einer kleinen Hafenstadt an der Südostküste der Insel. Steile, pinienbestandene Berge, die sich von einem sanften Sandstrand erhoben, schlossen die überwältigend schöne Stadt vom Hinterland ab. Um diese Jahreszeit war es noch sehr heiß. Glücklicherweise fand ich Unterkunft in einem Hotel, das eine Terrasse im Freien besaß.
    Eine Woche wollte ich bleiben. Wenn Jost in der Stadt oder in ihrer näheren Umgebung lebte, wäre das wohl Zeit genug, ihn aufzuspüren. Und wenn ich ihn bis dahin nicht gefunden hatte, konnte ich mit Sicherheit annehmen, daß er sich hier nicht aufhielt. In diesem Falle wollte ich noch der Nachbarstadt und den beiden Dörfern, die im Umkreis von zehn Kilometern lagen, einen Besuch abstatten, und wenn auch dies fehlschlug, aufgeben und nach Hause fahren.
    Über Erfolg oder Mißerfolg meines Unternehmens gab ich mich keinen Spekulationen hin. Als junger Reporter hatte ich gelernt, daß man nicht nur Glück braucht, sondern auch geschickt und beharrlich sein muß, will man jemanden aufspüren, der sich weder finden noch interviewen lassen will. Auf das nötige Glück kann man nur hoffen; ich verließ mich auf andere Dinge. Ich wußte weder, unter welchem Namen Jost hier lebte, noch kannte ich seine Staatsangehörigkeit – und ich war mir klar darüber, daß er sich eine neue Identität zugelegt haben konnte. Aber ich wußte, wie er aussah und daß er kein Spanier war. Der Londoner Verleger hatte mir gesagt, daß das mallorkinische Hausmeisterehepaar noch in Latimers Villa lebte; schließlich gab es noch keinerlei Anzeichen dafür, daß er nicht mehr am Leben war. Bezahlt wurden die beiden über Dauerauftrag von seinem Konto in Palma. Ich hatte vor, mit ihnen zu reden, um zu erfahren, mit welchen seiner Nachbarn Latimer bekannt oder befreundet gewesen war. Befand Jost sich unter diesen Leuten, würde ich ihn gewiß mühelos ausfindig machen können. Ich nahm mir vor, am nächsten Morgen als erstes seinem Haus einen Besuch abzustatten.
    Ich tat es nie. Es war nicht mehr nötig.
    Gegen halb neun aß ich zu Abend. Für spanische Verhältnisse ist das sehr früh, und da die anglo-amerikanische Touristeninvasion diese Stadt noch nicht erreicht hat, gehörte die ganze Terrasse eine Weile mir allein. Ein herrlicher Mittelmeerabend. Es war windstill, und doch hatte es sich ein wenig abgekühlt. Das Zirpen der Grillen und die Brandung versetzten mich in eine romantische Stimmung. Ich aß eine riesige Paella und trank eine Flasche Weißwein. Gegen halb zehn füllte sich die Terrasse, und ich überlegte, ob ich mich nicht ins Bett legen sollte. Aber ich blieb doch. Hier war es angenehm, hier fühlte ich mich wohl, während die Luft in meinem Zimmer wahrscheinlich noch immer heiß und stickig war. Ich bestellte einen Co ñ ac.
    Und in diesem Augenblick kam Jost.
    Er wirkte zehn Jahre jünger als damals in Genf. Gesicht und Arme waren braungebrannt, sein Haar von Sonne und Meer gebleicht. Eine Brille trug er nicht mehr. Bekleidet war er mit einer blauen Leinenhose, Segeltuchschuhen und einer leichten Weste. Er machte einen recht gesunden Eindruck, und wenn er auch immer noch jenes traurige Lächeln zur Schau trug, hätte man doch vermuten können, daß er ein
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