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Das Impressum

Das Impressum

Titel: Das Impressum
Autoren: Hermann Kant
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Feierabend dazu kommt, also dann, wenn man kaum noch Öl auf der Lampe hat, frißt es einen schier auf – es laugt dich aus, es ersäuft dich, und es drückt dich zu Boden mit Lawinenkraft. Das vor allem. Während du dir mühselig A eingeprägt hast, sind längst BCDEFGHIJKLMNOPQRSTUVWXYZ hinzugekommen, und ohne die, meinst du, hilft A dir gar nichts. Also gehst du B an, und während du dabei bist, wälzt sich neuesheran, diesmal von Alpha bis Omega. Sisyphos heute wäre Fernstudent.
    Geschichte zum Beispiel ist Hauptfach für einen Journalisten. Das leuchtet ein, aber da geht es schon los: nehmen wir Kuba. Als ich mit dem Fernkurs begann, war Kuba eine sehr ferne Insel mit einem sehr fernen Diktator namens Batista, irgendeinem Batista in einer Welt voller Batistas, das war achtundfünfzig. Als ich aber sechs Jahre später und schon beinahe als ein graues Haupt unter den Chefredakteuren ein Papier bekam, das mich als einen nunmehr richtigen, weil studierten Journalisten auswies, lag die karibische Krise schon wieder anderthalb Jahre zurück, und Sozialismus gab es nun auch auf amerikanisch. In diesen Jahren erschienen sechsmalzweiundfünfzig Nummern meiner Zeitung, in deren Impressum schon, wenn auch an verschiedenen Stellen, mein Name stand, und in mindestens sechsmalzwanzig Ausgaben berichtete die Neue Berliner Rundschau über Kuba. So kam es, daß ich am Tag über die Schweinerei in der Schweinebucht las und schrieb und am Abend, der oft genug erst um Mitternacht begann, etwas über andere Schweinereien, zum Beispiel die des älteren Roosevelt und seiner Rauhen Reiter erfuhr. Redigierte ich bei Taglicht einen Artikel über das neue Schulsystem Havannas, so notierte ich mir unter der Schreibtischlampe etwas über die Sklavenaufstände in Matanzas. Und eben umgekehrt: Hatte ich gerade etwas über die erste kubanische Republik begriffen, die es fast fünfzig Jahre vor der ersten deutschen gegeben hat, so gab es schon wieder eine neue Tatsache über die erste sozialistische in Amerika. Cortés’ Raubsprung von Kuba nach Mexiko und Castros erster Flug nach Moskau erfolgten in meinem Kopf zur gleichen Zeit; Fidels »Granma« landete vierhundertvierundsechzig Jahre nach Kolumbus’ »Santa Maria« auf Kuba, und so verschieden kann zweimal Eroberung sein; in meinem Hirn aber drängten sich beide Daten in derselben Zelle, und die Bahnen des Allan Dulles und des Piraten Piet Heyn kreuzten sich in ihm. Das aber war nur Kuba, ein bedeutender, doch winziger Punkt auf einer Geschichtstafel vollvon Hussitenkriegen, Katalaunischen Feldern, Engländern am Bosporus, Deutschen in Libyen, Schüssen in Texas, roten Fahnen in Kanton, Führerhauptquartieren, rheinischen Demokraten, sächsischen Kommunisten, Fuggern und Welsern, Suffragetten, Aktivisten, Bolschewiken und Kinderpäpsten.
    Und das war nur Geschichte, in summa ein Band allenfalls von zwanzig dicken Brockhaus-Bänden, und ein Blick hier und da in die anderen neunzehn war ausdrücklich erwünscht, wenn es denn unbedingt ein Diplom sein sollte.
    Von mir aus wäre es ohne das gegangen, es ist schließlich all die Jahre ohne das gegangen, aber nein, es gab da einen Beschluß, und schon schleppten sie dich auf die Galeere – discere necesse est.
    In diesem Land herrscht Diktatur. Wir stöhnen hier unter dem Zwangsregime der Wissenschaft. Hier wird man mit der Leselampe gefoltert. Die Despotie preßt uns in die Gelehrsamkeit. Der Druck bedient sich des Buchdrucks.
Qual
ifizie rung – das Wort schon sagt es. Theorie ist die Praxis hiesigen Terrors. Forscher zimmerten unser Joch. Lehrer bewachen unsere Schritte. Unser Profoß ist Professor. Wir führen ein Hirnzellendasein. Für Denken gibt es ein Soll. Wir sind die kybernetisch besetzte Zone. Wir sind ein einziges Schweigelager: Ruhe, Vater muß lernen, und nochmals Ruhe, Mutter auch! Nun gut, ich habe mich gebeugt und bin ein Chef mit Diplom, aber mein Argwohn spricht: Ein Minister geht nicht mehr lange ohne Doktorhut.
    Schon darum will ich nicht Minister werden und kann auch nicht. Ich bin jetzt vierzig Jahre alt und brauche manchmal schon zweimal Lesen für ein und denselben Satz, aber von Weisheit trennen mich noch dreißig Jahre, um nur von der Zeit zu reden. Mein Gott, kann man denn hier nichts in Ruhe zu Ende machen? Früher begann man als Lehrer und endete als Lehrer, aber als was für einer! Man wurde bei einigem Geschick mit jungen Jahren Tischlermeister, und auf seinem Grabstein stand immer noch Tischlermeister. Aber
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