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Das Herz ist eine miese Gegend

Das Herz ist eine miese Gegend

Titel: Das Herz ist eine miese Gegend
Autoren: Thommie Bayer
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der Vater. Das traf sich gut, denn im nächsten Monat hätte es sowieso noch nicht für das Fahrrad gereicht.
    »Kann Bo zwei Tage bei uns wohnen? Seine Eltern verreisen«, fragte Giovanni gleich hinterher, denn der Zeitpunkt war günstig. Die Strafe war schon ausgesprochen, und noch eine weitere dranzuhängen wäre nicht gerecht gewesen. Der Vater liebte Gerechtigkeit.
    Am nächsten Morgen ging Winkler durch die Klassen und war der Ansicht, derjenige, der seine Tafel beschmiert habe, solle sich stellen. Diese Tat sei feige, und wer immer sie begangen habe, könne jetzt, nachträglich noch, Mut beweisen. Dabei sah er scharf und länger als jedem andern Giovanni ins Gesicht.
    Als zwei Tage später mit derselben Ölkreide an Winklers Klassentür geschrieben stand: »Irren ist göttlich. Winklerinem ausrutscherum est«, Unterschrift: »Gott«, da ging nicht mehr Winkler selbst durch alle Klassen, sondern der Schulleiter. Und das war inzwischen Giovannis Vater. Aber die Masche mit dem Mut zog nicht, und daß das Gotteslästerung sei, mochte ja sein, aber bevor nicht ein Blitz Giovanni träfe, würde er nicht wieder anfangen, an Gott zu glauben. Geschweige denn, ihn zu fürchten.
    Die Ölkreide warfen sie auf dem Heimweg fort, klauten Äpfel aus Vorgärten und machten jeden Umweg, der ihnen einfiel, denn Giovannis Vater hatte Nachmittagsunterricht und aß in der Schulkantine.
    Bo beschrieb das Gefühl, wenn man einem Mädchen unter den Pullover faßt, und wie sich dieses Gefühl steigern läßt, indem einem das Mädchen seinen Busen zeigt, und den nicht mehr steigerbaren Höhepunkt des Gefühls, wenn man danach, allein, Hand an sich selber legt. Diese letzte Etappe kannte Giovanni schon. Das andere nicht, denn er war mit Hilde, einer Klassenkameradin, nicht so weit gekommen. Und mit Hilde war außerdem Schluß.
    Da Bo drei Jahre auf der französischen Schule gewesen war, sprach er nicht nur perfekt Französisch, sondern hatte es auch leicht, mit seiner Frechheit Kontakt zu den Töchtern der Garnisonssoldaten zu bekommen. Marie Claire war schon seit einem Vierteljahr seine Freundin. Sie hatte tiefschwarze Augen, tiefschwarze Haare und nichts dagegen, daß Bo ihren Körper erkunden wollte. Ihr Vater war General und durfte nichts von Bo wissen. Sie war sechzehn und hatte ihm versprochen, ihn da unten, »la bas«, wie sie es nannte, zu berühren.
    »Ich erzähl dir, wie’s war«, versprach er Giovanni. Das Schicksal habe an ihm noch was gutzumachen, fand er, denn in den Sommerferien hatte ihn ein katholischer Pater unsittlich berührt. Er hatte zwar nicht gepetzt, denn allein die Tatsache, daß sein Vater Homosexuelle haßte, verschaffte diesem Mann einen Bonus, und außerdem wußte Bo, daß der Pater dafür ins Gefängnis kommen konnte. Aber als dieser ihn danach auch noch auf den Mund geküßt hatte, kotzte er vor Schreck und Ekel.
    Er hatte diese Geschichte Marie Claire erzählt und gesagt, er fürchte nun, verdorben zu sein und schwul zu werden. Zwar lachte sie und sagte, das Schwulsein sei nicht ansteckend, aber sie versprach, ihn doch mit weiblicher Hand zu erlösen. Jetzt warteten sie nur noch auf die passende Gelegenheit.
    Giovanni beneidete Bo um diese Aussicht.

 
VIER
    Wer war Uschi Glas? Wußte sie, was damit gemeint war, wenn man sagte: »Unter den Talaren - der Muff von tausend Jahren«? Für einen Neger tat Martin Luther King den Leuten ganz schön leid. Anders Rudi Dutschke, der hatte sich das selber zuzuschreiben. Eine Sache, die man klasse fand, nannte man »dufte«. Fahrpreiserhöhungen und Notstandsgesetze waren keine solche Sache. Aber die Erfolge der Tet- Offensive.
     
    Ein halbes Jahr später, als endlich der Schnee geschmolzen war, holte Giovanni das blauglänzende Rixe-Fahrrad, das er sich zum Geburtstag geschenkt hatte, aus der Garage und hoffte, daß die Ampel diesmal Grün zeigen würde. Es war nicht direkt Grün, und zuerst spürte er gar nichts. Aber dann kam dieser Blut- und Staubgeschmack in seinen Mund, und er merkte, daß es ihm unmöglich war einzuatmen. Es war ihm auch unmöglich zu schreien, obwohl er so etwas wie einen Schrei in seinem Innern zu hören glaubte.
    Erst als ihn der Mann auf den Rücksitz des Wagens legte, hörte er sich wimmern, spürte, daß er wieder atmete, und spürte auch die brennenden und pochenden Schmerzen an Kinn und Bein.
    Giovannis Kopf lag im Schoß eines blonden Mädchens. Er sah ihr Gesicht falschherum, die Augen unten und den Schal oben.
    »Hast du arge
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