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Das Herz ihrer Tochter

Das Herz ihrer Tochter

Titel: Das Herz ihrer Tochter
Autoren: Jodi Picoult
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abgetrennt, jeder eine Injektionsspritze in der Hand halten.
Der Infusionsschlauch, der in die Vene des Häftlings führt, teilt sich in drei
separate Schläuche, von denen jeder mit einer der drei Injektionsspritzen
verbunden ist. Zwei Spritzen enthalten ein Placebo, die dritte enthält das
Mittel, das beim Häftling einen Herzstillstand bewirkt - die drei Beamten
werden daher niemals wissen, welche von ihren drei Spritzen den Häftling
tatsächlich getötet hat. Die Gefängnisdirektorin kommt herein und liest das Gerichtsurteil
vor, das die Todesstrafe für den Häftling anordnet. Dann fragt sie: »Möchten
Sie noch etwas sagen?« Das ist für den Arzt das Stichwort, das Natriumpentothal
zu verabreichen, um den Häftling zu betäuben, ehe das Kaliumchlorid injiziert
wird, das den Herzstillstand herbeiführt. Die meisten Häftlinge haben nicht
viel zu sagen. Vielleicht »Es tut mir leid« oder »Ich hab dich lieb, Mum« oder
»Leckt mich doch alle«. Aber wenn der Häftling fertig ist, sagt die
Direktorin: »Möge Gott Ihrer Seele gnädig sein« - und das ist das Stichwort für
die drei Henker, den Kolben ihrer jeweiligen Injektionsspritze runterzudrücken.
    Das bedeutet im Grunde, dass die Zeit
zwischen dem Verabreichen des Natriumpentothals und des Kaliumchlorids für
gewöhnlich nicht ausreicht, um den Häftling zu betäuben - und genau aus diesem Grund
debattiert der Oberste Gerichtshof darüber, ob die tödliche Injektion eine
grausame und unangemessene Bestrafung darstellt.
    Ich schrieb so schnell mit, während die
Direktorin mir diese Erläuterungen gab, dass ich meine Sachen irgendwann auf
meiner Schreibunterlage ausbreitete - und dann einen kleinen Schock bekam, als
mir klar wurde, dass es sich um den Tisch handelte, auf dem der Häftling lag,
wenn er die tödliche Injektion erhielt.
    Die Direktorin sagte, sie habe nun mal
diese Aufgabe und sie würde sie erfüllen - aber sie sei nicht mehr davon
überzeugt, dass sie wirklich sinnvoll sei. Sie hatte erlebt, wie schwache
vergreiste Männer hingerichtet wurden, weil die Mühlen des Justizsystems so
langsam mahlten. Sie hatte erlebt, wie abgebrühte Kriminelle wieder auf freien
Fuß gesetzt wurden, weil die Morde, die sie begangen hatten, nicht die
Kriterien für die Verhängung der Todesstrafe erfüllten. In ihren Augen war
unser Rechtssystem nicht sehr gerecht. Tatsächlich war unter all den Gefängnisangestellten,
mit denen ich gesprochen habe, kein Einziger, der die Todesstrafe befürwortete.
    Die Direktorin reichte knapp einen Monat
nach meinem Besuch überraschend ihren Abschied ein. Ich bilde mir gern ein,
dass ich vielleicht ein klein wenig dazu beigetragen habe!
    Ich flog ein zweites Mal nach Arizona, um
einen Todeszelleninsassen zu besuchen - einen Mann namens Robert Towery.
Robert und ich unterhielten uns durch eine Plexiglaswand. Er war ausgesprochen
höflich und nannte mich Ma'am. Er stand auf, als ich den Besuchsraum betrat.
Wir stehen seitdem in Briefkontakt, und wenn er schreibt, erkundigt er sich
nach meinen Kindern oder erzählt mir, was bei Lost oder Grey's Anatomy alles
so passiert. Er ist ein begabter Maler, und er macht sich seine Farben selbst
aus den Pigmenten der Zuckerumhüllung von Smarties und M&Ms oder indem er
Kaffee und Tinte auf Illustriertenseiten verdünnt. Er hat mir erklärt, wie man
sich im Gefängnis ein Messer bastelt oder einen »Stinger«, eine Art
improvisierten Tauchsieder aus zwei Drähten. Er ist ein sehr netter Mann - bis
auf die Tatsache, dass er 1991 wegen eines bewaffneten Raubüberfalls verurteilt wurde, bei dem er
seinem Opfer sagte, er würde es betäuben, doch statt dessen injizierte er dem
Mann Batteriesäure und tötete ihn. Er gibt zu, dass er damals high war - und
er ist jetzt seit zehn Jahren clean. Womit ich zu dem eigentlichen Problem
beim Thema Todesstrafe komme: Alle Welt weiß, dass es nicht richtig ist, einen
unschuldigen Menschen hinzurichten. Aber was ist mit einem, der schuldig ist?
    Die Todesstrafe wurde 1972 ausgesetzt, aber
bereits 1976 reaktiviert. In 38 US-Staaten ist die Todesstrafe zulässig. Hat sie eine abschreckende
Wirkung? Laut der FBI-Kriminalstatistik aus dem Jahre 2004 verzeichneten die Südstaaten
die höchste Mordrate, obwohl dort 80% aller Hinrichtungen stattfinden. Ist sie billiger als eine lebenslange
Freiheitsstrafe? Das ist von Bundesstaat zu Bundesstaat verschieden, aber in
Texas zum Beispiel kostet es vor allem aufgrund der möglichen
Berufungsverfahren dreimal mehr,
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