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Das Herz des Werwolfs (German Edition)

Das Herz des Werwolfs (German Edition)

Titel: Das Herz des Werwolfs (German Edition)
Autoren: Jessica Andersen
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der Großteil ihrer Freunde und ihrer Familie, wussten einfach nicht mehr, was sie noch sagen sollten, immerhin war Benz schon mehrere Monate tot, und sie geisterte immer noch herum, als wäre ihr bester Freund gestorben.
    Und genauso war es ja auch. Durch ihre Schuld. Nicht, weil sie etwas falsch gemacht hatte, sondern weil sie nichts gemacht hatte. Sie war wie erstarrt gewesen. Hatte einfach da gestanden, während ein dreckiger Meth-Junkie auf Bewährungdas Feuer eröffnet hatte.
    In den Nachrichten hatten sie gesagt, sie hätte Glück gehabt. Die anderen Cops hatten eigentlich nichts gesagt. Genau wie ihre Nachbarn jetzt schwiegen, wenn sie an ihnen vorbeieilte. Aber zur Abwechslung hatte ihr Herzklopfen nichts mit den schrägen Blicken und dem Getuschel zu tun. Auch nicht mit ihrem Vater und ihren Brüdern, die ihr ja gleich gesagt hatten, dass sie nicht der Typ war, der die Welt rettete. Stattdessen war es die schwere Schachtel, die sie an ihre Brust drückte und so fest umklammerte, dass ihre Finger taub wurden, die ihr Herz heftiger schlagen ließ.
    Sie atmete so schnell, dass ihr schwindelig war, als sie ihr kleines gemütliches Apartment aufschloss. Sie blieb nicht einmal stehen, um die Lederjacke auszuziehen, ließ die Handtasche einfach neben der Tür fallen und ging zur Küchenzeile. Der hohle Klang der Schachtel, als sie auf der Holzanrichte landete, erinnerte sie daran, dass sie nicht auf den Kreditkartenbeleg gesehen hatte und nicht wusste, wie viel sie für das Ding überhaupt ausgegeben hatte. Es war ihr egal.
    „Mach es jetzt auf“, sagte sie zu sich selbst. Die Worte klangen viel zu laut in der Stille, die um sie herum herrschte, als würde die Welt den Atem anhalten. Oder vielleicht – wahrscheinlich – lag es an ihr. Sie bauschte die Sache viel mehr auf, als nötig war. Trotzdem zitterten ihre Finger, als sie die Schachtel öffnete, hineinfasste und den hölzernen Buchdeckel berührte. Sie sagte sich selbst, dass sie sich das leise Kribbeln nur einbildete. Genau wie die heißen Träume, die sie seit ein paar Nächten hatte, nicht mehr waren als Erinnerungen an ihre Kleinmädchenfantasienvom strahlenden Retter, aufgeheizt von ihren erwachsenen Erfahrungen.
    Sie fuhr die erhabenen Buchstaben mit dem Finger nach. Rutakoppchen . Eine Version von Rotkäppchen, in der der Wolf Sünder und Verführer war und der Förster der Held, der das Mädchen rettete und aus ihrem alten Leben in ein neues führte, ein besseres. Das Buch zu sehen, es zu berühren, brachte sie ihrer Mutter näher, als sie es seit Jahren gewesen war. Selbst wenn das Buch sich als Kopie herausstellen sollte, war es doch wert, was immer sie bezahlt hatte.
    Aber sie musste es wissen, deshalb schlug sie es auf. Der Einband quietschte wie eine schlecht geölte Tür, ihre Kehle wurde auf einmal trocken und eng … und dann traten ihr Tränen in die Augen, als sie die handgeschriebenen Zeilen auf der ansonsten leeren Seite vor sich sah, blaue Tinte, die in den letzten zwei Jahrzehnten verblasst war.
    Für meine süße Alfreda zu ihrem achten Geburtstag.
    Den Rest der Geschichte erfährst Du mit sechzehn.
    Deine Maman
    Redas Herz überschlug sich schier in ihrer Brust, als sie mit den Fingern über das letzte Wort fuhr. Maman . Ihre älteren Brüder hatten sie immer gehänselt, dass sie sich „aufspielte“, sie Prinzessin genannt und sie aufgezogen, weil an ihnen nichts auch nur annähernd Königliches war. Sie waren Soldatenkinder und stolz darauf.
    Du kommst nie voran, wenn du immer zurückblickst. Die Stimme des Majors erklang auf einmal so deutlich, als stünde er direkt hinter ihr. Was nicht sein konnte, denn er war gerade in Übersee. Es waren nur die Worte, die so vertrautklangen: Augen geradeaus; ein Fuß vor den anderen; sieh nach vorn, nicht zurück. Lebensweisheiten.
    „Du hast recht“, sagte sie leise. „Ich weiß, du hast recht.“ Sie sollte das Buch zurück in die Schachtel legen, es vielleicht sogar in den Safe einschließen, wo sie ihren unbenutzten Reisepass aufbewahrte. Sie sollte Trost darin finden, eine lieb gewonnene Erinnerung wiederzuhaben, und sich dann auf Wichtigeres konzentrieren – zum Beispiel auf die Bewerbungen.
    Aber sie blätterte trotzdem um und konnte nicht anders, als das Bild des jungen unschuldigen Mädchens mit ihrem Korb zu betrachten. Dann eines von einem riesigen Wolf – ihre Maman hatte Wolfyn dazu gesagt –, der ihr auf dem Pfad hinterherschlich und ihr mit viel zu menschlichen Augen
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