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Das Herz des Werwolfs (German Edition)

Das Herz des Werwolfs (German Edition)

Titel: Das Herz des Werwolfs (German Edition)
Autoren: Jessica Andersen
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Pfeifen des Windes vor ihrem Fenster: Hilf ihm. Rette ihn.
    Ihr Herz raste, als sie draußen den Himmel sah, genauso klar und hell wie vorhin, als sie MacEvoys Laden verlassen hatte. Und doch grollte wieder ein Donner, vibrierte durch die Sohlen ihrer Stiefel ihren ganzen Körper hinauf. Sie fühlte sich plötzlich leer und allein.
    Er ist auch allein. Hilf ihm. Sie hörte den Wind, aber die Bäume in der Nachbarschaft bewegten sich nicht, und auch die kleinen Schönwetterwolken hingen bewegungslos am Himmel.
    Ein Wimmern stieg in ihrer Kehle auf. Sie unterdrückte es, aber die Panik blieb und brachte eine Erinnerung mit sich, die sie lange Zeit tief vergraben geglaubt hatte, bis sie jetzt plötzlich vollkommen klar in ihrem Kopf auftauchte.
    „Also, was meinen Sie – ist sie verrückt?“, fragte ihr Vater den Arzt. Sie konnte die beiden vom Wartezimmer aus durch die halb offene Sprechzimmertür sehen, konnte sie deutlich hören, obwohl sie leise sprachen.
    „Solche Ausdrücke benutzen wir nicht“, sagte der Arzt mit ernstem Gesicht, aber ihr Vater nickte nur, als hätte er die Antwort bekommen, die er erwartet hatte. Der Arzt seufzte. „Hören Sie. Die menschliche Psyche benutzt eine Art Schutzmechanismus, um mit Trauma und Verlust umzugehen .Wir rationalisieren solche Ereignisse, die Ursachen und Folgen. In diesem Fall hat Redas Psyche einen eher ungewöhnlichen Schutzmechanismus gewählt, der sie glauben lässt, ihre Mutter wäre nicht tot, sondern gefangen in einem magischen Land, in einer anderen Welt. So etwas kann nach dem Verlust eines Elternteils geschehen, besonders bei Kindern ihres Alters. Normalerweise gibt sich das von selbst.“
    „Wie lange?“
    „Ein paar Monate, vielleicht noch länger. Aber es ist im Grunde harmlos.“
    „Sie nennen es harmlos, dass sie schlafwandelt, zur Hintertür hinaus und in den Wald? Was, wenn sie sich verlaufen hätte? Oder noch schlimmer, was, wenn der Falsche sie gefunden hätte?“ Die Stimme des Majors wurde zum Ende hin immer lauter, aber dann sah er zu ihr nach draußen und senkte die Stimme wieder: „Helfen Sie mir, Doc. Das muss aufhören. Für die Jungs. Wir alle müssen die Sache endlich hinter uns lassen.“
    Der Arzt sagte nichts, und Redas Herz schlug wild bei dem Gedanken, dass er dem Major erzählen könnte, dass sie recht hatte, dass es die Königreiche wirklich gab und dass manchmal Besucher aus Versehen durch die Tore zwischen den Welten fielen. Sie beugte sich aufgeregt in ihrem Stuhl vor.
    „Wir können ein paar Sachen versuchen“, sagte der Arzt schließlich. „Zuerst würde ich empfehlen, das Buch loszuwerden.“
    Die Erinnerung verschwamm und löste sich auf, aber der Schmerz in ihrem Herzen blieb, und mit ihm Redas Überraschung über diese verdrängte Kindheitserinnerung. Nicht, weil der Major ihr solange etwas vorgemacht hatte, sondern weil die monatelange Therapie so wirkungsvoll gewesen war. Sie hatte seitdem nicht mehr an das Buch, an Magie oder Monster gedacht.
    Oder an ihre Mutter.
    Der Polizeipsychologe hatte natürlich gewollt, dass sie über den Tod ihrer Mutter sprach, aber Reda hatte nur mit den Schultern gezuckt und gesagt: „Das ist lange her.“ Und dabei wäre es auch geblieben … wenn sie nicht das Buch gefunden hätte. Oder vielmehr, wenn das Buch nicht sie gefunden hätte.
    Donner grollte wieder, er hörte sich jetzt näher an, auch wenn die Sonne noch immer schien. Ohne es zu wollen, wanderte ihr Blick zurück zu der Seite mit dem Bild des Försters, der im Türrahmen stand, sie anstarrte und in ihr eine Sehnsucht weckte. „Verdrängte Erinnerungen“, sagte sie leise. „Darum geht es hier, richtig?“
    Der Tod von Benz hatte die Mauern geschwächt, und der seltsame Zufall, den Holzschnitt in MacEvoys Geschäft zu entdecken, hatte das Fundament fortgespült. Jetzt war der ganze Schutzmechanismus dabei, zusammenzubrechen. Wenn man bedachte, wie stolz sie auf ihre Selbstkontrolle und Disziplin war, war es seltsam, wie wenig ihr das ausmachte. Seit der Schießerei hatte sie sich gefühlt, als würde sie auf der Stelle rennen oder sich in sich selbst zurückziehen, als wartete sie auf etwas. Und das hier war es.
    Oder nicht? Was, wenn das alles nur in ihrem Kopf passierte? Was dann?
    Der rationale logische Teil von ihr sagte, sie sollte den Psychologen anrufen und sich irgendwo einweisen lassen.
    Stattdessen streckte sie eine Hand aus, die plötzlich überhaupt nicht mehr zitterte, berührte die Buchseite und legte die
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