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Das Herz des Werwolfs (German Edition)

Das Herz des Werwolfs (German Edition)

Titel: Das Herz des Werwolfs (German Edition)
Autoren: Jessica Andersen
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dabei zusah, wie sie das Häuschen ihrer Großmutter betrat, es aber leer vorfand. Die nächsten Seiten zeigten Wolfyn und Mädchen gemeinsam, und die Geschichte stand eher im Text als in den Bildern. Doch dann verwandelte sich das riesige Biest in einen Mann mit zerzausten Haaren und heißen wilden Augen, und das Mädchen sah mit leuchtender Miene und aufgeregt zu ihm auf, als würde sie einen schönen Prinzen vor sich sehen und nicht einen lüsternen Wolfyn. Doch dieses Mal sah Reda noch etwas, das ihr vorher nicht aufgefallen war: Das Mädchen sah abwesend aus und lächelte fast an dem Wolfyn vorbei, statt ihn anzusehen.
    Reda zog sich der Magen zusammen. Sie hatte diesen Ausdruck schon bei Opfern von K.-o.-Tropfen gesehen.
    Sie überflog die nächsten paar Bilder und bemerkte, dass ihre Mutter einige Seiten ausgelassen haben musste. Oder hatte sie die Bilder als Kind gesehen und nur nicht gewusst,was sie bedeuteten? Denn jetzt, aus der Perspektive einer Erwachsenen – einer Polizistin, die schon mit Vergewaltigungen zu tun gehabt hatte, wenn auch glücklicherweise nicht so oft, wie es in einer größeren und härteren Stadt der Fall gewesen wäre –, sahen der leere glasige Blick des Mädchens und der blinde Gehorsam auf die jugendfreien, aber doch anzüglichen Befehle des Wolfyn ganz nach Drogen oder Gehirnwäsche aus. Oder beidem.
    Sie war nicht verführt worden. Man hatte sie gezwungen.
    Reda schauderte. „Den Teil habe ich ganz anders in Erinnerung.“ Andererseits hatten die meisten Märchen einen dunklen und blutigen Ursprung und wurden erst für den Mainstream verniedlicht, wenn Disney sie in die Finger bekam.
    In ihrem Kopf begann ein Gedanke zu summen wie eine gefangene Hummel, doch sie bekam ihn nicht lange genug zu fassen, um zu verstehen, was das alles zu bedeuten hatte.
    „Armes Mädchen“, murmelte sie und berührte ein Bild der jungen Frau, auf dem sie mit schweren Lidern neben dem Herd lag, in dem ein niedriges Feuer brannte. Der Wolfyn war in Verwandlung begriffen und sah aus dem Fenster, das Fell in seinem Nacken aufgerichtet, als würde er in den Schatten nach Gefahr suchen. Es war schwer zu sagen, ob er sie beschützte oder gefangen hielt. Wahrscheinlich beides, je nachdem, wen man fragte.
    Reda merkte, dass sie sich viel zu sehr darin verstrickte, einen zweidimensionalen Charakter zu bedauern, der für sie auf einmal stellvertretend für die vielen Opfer stand, mit denen sie gearbeitet hatte. Sie war so darin vertieft, dass sie den Förster, der auf der nächsten Seite abgebildet war,einfach einige Herzschläge lang anstarrte.
    Dann flüsterte sie: „Da bist du ja.“ Was albern war, denn genau wie das Mädchen war der Förster nicht mehr als ein Bild in einem Märchenbuch.
    Nur war er mehr als das. Er war der Held.
    Wie er im Türrahmen stand, mit der langstieligen Axt vor seinem Körper, hätte er wie das Klischee eines Holzfällers aussehen sollen. Stattdessen wirkte er merkwürdig fehl am Platze, als wäre ein fahrender Ritter aus einer anderen Geschichte in diese versetzt worden. Die hochgerollten Ärmel legten muskulöse Unterarme frei, die sich von seinem festen Griff um die Axt spannten. Die Spannung setzte sich im Rest seines großen hochgewachsenen Körpers fort bis hinauf in sein Gesicht, auf dem Ekel und Entschlossenheit standen, als er sah, was sich in der Hütte abspielte.
    Reda konzentrierte sich auf jedes Detail: die zerzausten schwarzen Haare über seiner edlen Stirn, die breiten Wangenknochen, die schmale aristokratische Nase, die vollen Lippen und den kantigen Kiefer, und seine Augen … lieber Gott, seine Augen. Sie starrten von der Seite direkt in ihre Seele und schienen lebendig, obwohl es nur eine Illustration war, und noch dazu eine schwarz-weiße.
    Doch sie kannte diese Augen. „Grün“, flüsterte sie und sehnte sich plötzlich unsinnigerweise nach einem Mann, der nicht wirklich existierte. „Seine Augen sind grün.“
    Hilf ihm. Die Worte erklangen in ihrem Kopf in einer fremden Stimme, als hätte ihr eigener Atem sich in Worte verwandelt, die nicht aus ihr selbst kamen.
    Ein Schauer durchfuhr ihren Körper.
    „Super, jetzt bildest du dir schon Dinge ein, wenn duhellwach bist“, sagte sie laut und versuchte, mithilfe der Worte die plötzliche Spannung zu vertreiben, die in der Luft hing.
    Es funktionierte nicht. Die Luft blieb schwül, und Donner grollte. Ihr Magen fühlte sich hohl an, und ihr blieb die Luft weg.
    Dieses Mal hörte sie die Worte im
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