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Das Herz des Loewen

Titel: Das Herz des Loewen
Autoren: Suzanne Barclay
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darfst dir keine Vorwürfe machen, Ross.“
    „Hätte ich Lion begleitet, statt mein Wort zu halten und in Wales zu kämpfen, wäre er vielleicht nicht gestorben.“
    Seine Verzweiflung ging ihr sehr nahe. So schmerzlich sie auch um den Erstgeborenen trauerte, nun betrachtete sie es als ihre Pflicht, Ross über seine Schuldgefühle hinwegzuhelfen, die Kluft zwischen Vater und Sohn zu überbrücken. Wenn bloß keine so krassen Gegensätze zwischen den beiden bestünden ... War es ein Fehler gewesen, dem Sohn ihres Herzens beizubringen, dass nicht nur der Kampf und die Jagd das Leben eines Mannes bestimmten, dass noch andere Dinge zählten?
    Nein, er war tapfer und loyal, einfühlsam und klug genug, um die Gefahr zu erkennen, in die man sich begab, wenn man ein Gebot des Königs missachtete. Ross hatte die Waliser bekämpft, als die Nachricht von Lions Tod eingetroffen war, und erst vor wenigen Monaten zurückkehren können. Danach war er verändert gewesen - härter, kühler, unbeugsamer, vor allem, wenn es um seine Ehre ging.
    „Auch in deiner Begleitung hätte Lion sterben können“, erwiderte Lady Carina, aber er zuckte nur die Achseln. Irgendwie muss ich Mittel und Wege finden, um das alles in Ordnung zu bringen, dachte sie, während sie die Kemenate betraten. Webstühle und Rahmen für Wandteppiche nahmen fast die Hälfte des Raumes ein, nun standen sie unbenutzt, und die Dienerinnen würden erst nach oben kommen, wenn die Herrin nach ihnen rief.
    Elspeth füllte gerade einen Becher mit gewürztem Wein und brachte ihn dem Vater, der vor dem Kamin saß und nachdenklich ins Leere starrte. Eine Hand auf der geschnitzten Stuhllehne wandte sie sich herausfordernd zu ihrer Mutter und ihrem Bruder. „Vater, Ross hat gedroht, dich zu töten. “ Bestürzt rang Lady Carina nach Atem. „Sicher hat er so etwas nie gesagt.“
    „Ha!“, rief Lionel Carmichael höhnisch. „Dann könnte er früher den Titel des Lairds tragen. “
    „Gib sofort zu, dass du lügst! “, mahnte Ross. „Oder du wirst es bitter bereuen.“
    „Also gut“, murmelte Elspeth mürrisch.
    „Schande über dich! schimpfte Lady Carina.
    „Sie kann nichts dafür“, erklärte Ross. „Frauen sind geborene Lügnerinnen. Zumindest Rhiannon war in dieser Kunst eine Meisterin. “
    „Da muss ich ganz energisch widersprechen!“ Lady Carina drückte einen gefüllten Becher in Ross’ Hand. „Die Frauen lügen nicht mehr oder weniger als die Männer. “
    Feindselig musterte Lionel seinen Sohn. „Mir wär’s jedenfalls lieber, du würdest mich zum offenen Kampf fordern, statt lauthals zu verkünden, dass du mich in den Turm sperren willst.“
    Einen Arm auf das Kaminsims gestützt, umklammerte Ross seinen Becher so fest, dass das Relief des Familienwappens schmerzhaft in seine Hand schnitt. „So kann es nicht weitergehen, Vater.“
    „Es ist unser gutes Recht Lion zu rächen“, fiel der Laird ihm ins Wort, „selbst, wenn dir der Mut dazu fehlt.“
    Mühsam zwang Ross sich zur Ruhe. Sein Vater wusste, dass es ihm nicht an Mut mangelte. Nur ein Jahr jünger als Lion, war er gemeinsam mit seinem Bruder zum Kämpfer ausgebildet worden, und er verstand es, sein Schwert zu schwingen, aber stets mit Bedacht. Hingegen hatte Lion, ein kopfloser Draufgänger, schon mit fünfundzwanzig Jahren sein Ende gefunden. „Wir müssen herausfinden, was wirklich geschehen ist.“
    „Pah!“ Lionel leerte seinen Becher und sprang auf, mit einer Geschmeidigkeit, die seine fünfzig Jahre Lügen strafte, und schenkte sich noch etwas Wein ein. Seine Tochter wollte ihm folgen, aber die Mutter zog sie auf den Schemel, der zu Füßen ihres Armstuhles stand. Eisern hielt sie das Kind fest, trotz seiner heftigen Gegenwehr. Kleine Furie, dachte Ross. Sie hätte als Junge auf die Welt kommen sollen. Beharrlich weigerte sich Elspeth, ein sittsames, mädchenhaftes Verhalten zu zeigen.
    „Ich glaube, du bist sogar froh über Lions Tod!“ Abrupt drehte der Laird sich um, Wein tropfte zu Boden. „Von Anfang an hast du ihn um sein Erbe beneidet.“
    Ein kalter Schauer lief Ross über den Rücken. Er hatte die Wahrheit gesucht, und nun erkannte er das Krebsgeschwür, das an der Seele des Vaters fraß, seit der Leichnam des Erstgeborenen heimgebracht worden war, in einen Sack genäht.
    Aber bevor Ross antworten konnte, erhob sich die Mutter. „Gib doch auf die Teppiche acht, die dich ein Vermögen gekostet haben.“ Rasch nahm sie einen Lappen aus ihrem Flickkorb, sank auf die
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