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Das Herz des Jägers

Titel: Das Herz des Jägers
Autoren: Deon Meyer
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eine sich hoffentlich selbst erfüllende Prophezeiung. (Unsere weißen Mitbürger versuchen im Grunde dasselbe – nur entscheiden sie sich nicht für eine Bedeutung, sondern für den Klang, für exotische oder coole Namen, die ihre Kinder im Leben weiterbringen sollen. Und meine farbigen Brüder scheinen neuerdings Namen auszuwählen, die so unfarbig wie möglich klingen.)
    Wirklich wichtig, denke ich, ist die Bedeutung, die ein Mensch im Laufe seines Lebens seinem Namen verleiht.
    An was ich mich also an jenem frühen Morgen erinnerte, war der Mann. Oder der Junge, den ich kannte, denn Thobela und ich sind Kinder der Ziskei; wir teilten für kurze Zeit einen der schönsten Orte auf der Welt: das Kat River Valley, welches der Historiker Noël Mostert in seinem wundervollen Buch Frontiers beschrieb als »einen schmalen, herrlichen Strom, der sich aus den bergigen Höhen des Great Escarpment ergießt und durch ein breites, fruchtbares Tal zum Fish River hinfließt«.
    Wir waren Teenager, es war das schwärzeste Jahrzehnt des Jahrhunderts, die unruhigen siebziger Jahre: Soweto brannte, und die Hitze der Flammen konnte man sogar in unserem kleinen Dorf spüren, in unserem vergessenen Tal. Im Frühjahr 1976 lag etwas in der Luft, der Duft der Veränderung, dessen, was möglich war.
    |375| Thobela Mpayipheli war vierzehn wie ich. Er war sportlich, Sohn des Missionars der holländischen Reformkirche, und man wußte, daß sein Vater über die Maqoma-Linie ein direkter Nachkomme Phalos war. Königliches Xhosa-Blut, wenn man so will.
    Und tatsächlich hatte Thobela etwas von einem Prinzen an sich, vielleicht lag es an seiner Haltung, ganz sicher aber auch an der Tatsache, daß er für sich blieb, ein hübscher Außenseiter.
    Eines Tages Ende September konnte ich etwas besonders Seltenes beobachten. Ich sah, wie Mpayipheli sich mit Mtetwa schlug, einem großen, bösen, mißmutigen Jungen, der zwei Jahre älter war als er. Es hatte sich lange zwischen den beiden aufgestaut, und als es soweit war, war es wunderschön. Auf dem Ufersand an einer Biegung des Kat war Thobela der Matador, ruhig und kühl, elegant und schnell. Er kassierte ein paar heftige Schläge, denn Mtetwa hatte Kraft, aber Thobela schien sie einfach zu absorbieren und griff weiter an. Was mich am meisten faszinierte, war nicht seine außerordentliche Beweglichkeit, seine Schnelligkeit oder seine Geschicklichkeit, sondern seine Unabhängigkeit. Als müßte er sich nur mit sich selbst messen – als müßte er herausfinden, ob er bereit sei, als suchte er Bestätigung für einen inneren Glauben.
    Nur drei Jahre später war er verschwunden, und im Tal flüsterte man, daß er sich dem Freiheitskampf angeschlossen hatte. Er war an die Front gezogen, er wollte Soldat werden, er wollte den Speer des Volkes tragen.
    Und nun kam sein Name im Radio, ein Mann auf einem Motorrad, ein Flüchtiger, ein einfacher Arbeiter, und ich fragte mich, was in den letzten zwanzig Jahren geschehen ist. Was war schiefgegangen? Der Prinz hätte ein König sein sollen – in der Industrie, beim Militär, vielleicht sogar ein Parlamentsmitglied, obwohl ihm bei aller Präsenz die Gabe zu schwafeln fehlte, die ölige Geschmeidigkeit der Politiker.
    Also rief ich seine Mutter an. Es dauerte einige Zeit, sie ausfindig zu machen, ein Rentnerpaar in einer Stadt namens Alice.
    Sie wußte von nichts. Sie hatte ihren Sohn seit über zwanzig |376| Jahren nicht gesehen. Seine Reise war ihr ein genauso großes Rätsel wie mir. Natürlich weinte sie. Denn alles war verloren – die Hoffnung, die Möglichkeiten, das Potential. Die Sehnsucht, die Leere im Herz einer Mutter.
    Aber sie weinte auch um unser Land und unsere Geschichte, die sich so grausam verschworen hatte, um einen Prinz zum Bettelmann zu degradieren.

43
    Am späten Nachmittag änderte sich alles.
    Stunde um Stunde wuchs seine Ungeduld. Er wollte nicht mehr hier warten, er wollte wissen, wo der Bastard steckte, wie weit er weg war, wie lange er noch warten mußte. Seine Augen waren müde davon, auf die Straße zu starren, sein Körper steif davon, im Wagen zu sitzen oder daneben zu stehen oder daran zu lehnen.
    Als die Schatten länger wurden, sprang Captain Tiger Mazibuko aus dem Golf, nahm einen Stein auf und warf ihn in Richtung der Thorn Trees, wo die Finken nervtötend fiepten. Er brüllte etwas Unverständliches, wandte sich um und trat gegen den Reifen des Wagens, warf noch einen Stein in Richtung des Baums und dann noch einen und
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