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Das Herz der Puppe

Das Herz der Puppe

Titel: Das Herz der Puppe
Autoren: Carl Hanser Verlag
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groll dann hin?«, fragte Nina.
    »Ins Reich des Vergessens. Das ist eine große Insel, auf der alle vergessenen gedanken lagern.«
    »Alle? Auch die schönen?«
    »Ja, auch die. Es gibt dort viele verschiedene Lagerhallen und Müllhalden. gedanken können Juwelen, Edelsteine, gold und Silber sein, aber eben auch rostiges Blech, und für alles gibt es auf der Insel einen eigenen Platz. Auf einer großen Müllhalde werden zum Beispiel groll, Hass und Neid abgeladen.«
    »Und kann man aus dem Reich des Vergessens auch was zurückbekommen?«
    »Ja, sicher. Es gibt einen großen Markt, auf dem wie auf einem Flohmarkt verlorene und vergessene gedanken angeboten werden – leider auch solche von der Müllhalde. Millionen von Neugierigen flanieren über den großen Markt des Vergessens. Jedes gedächtnis schickt seinen eigenen Einkäufer dorthin. Der eine findet an einem schillernden Spruch gefallen, der andere an einer alten, aber immer noch zündenden Idee und wieder ein anderer an einem rostigen Witz.«
    »Können Witze rosten?«, fragte Nina.
    »Ja«, sagte Widu und musste darüber selbst schrecklich lachen.

Nachtwache
    Der Sommer war in diesem Jahr sehr heiß . Tante Olga kam durch die Tür, strahlend und wie immer mit einem Korb voller Leckereien in der Hand. Die Eltern wollten ein Wochenende mit Freunden segeln gehen. Nina sei dafür noch zu klein, sagten sie.
    »Ich beneide euch«, sagte die Mutter, als Tante Olga ihr erzählte, was sie für Nina kochen würde, und dabei die Zutaten auf dem Tisch ausbreitete: Eier, Speck, Karotten, Sellerie und Kartoffeln. Auch Kirschen, Himbeeren und Erdbeermarmelade holte sie aus dem Korb.
    »Du kannst davon essen, was du willst, aber rühr bloß den Speck nicht an. Er riecht komisch, und wenn du ihn isst, wirst du genauso riechen: rauchig und klebrig wie ein Schweinefurz«, sagte Widu beim Anblick der Köstlichkeiten.
    Genau da nahm Tante Olga das Speckstück, roch mit geschlossenen Augen daran und schwärmte davon, wie gut es ihnen munden würde.
    »Schweinefurz«, flüsterte Nina so leise, dass nur Widu sie hören konnte.
     
    Beim Abendessen wunderte sich Tante Olga, dass Nina weder die Soße noch den Speck probieren wollte. Sie aß Tante Olgas berühmte Kartoffelknödel trocken ohne alles und trank den Orangensaft dazu, den sie immer trank. Tante Olga aß eine doppelte Portion, damit nicht gar zu viel übrig blieb.
    Mitten in der Nacht hörte Nina dann jemanden laut stöhnen. Erschrocken richtete sie sich im Bett auf.
    »Das ist die alte Frau. So geht das schon seit einer ganzen Weile«, flüsterte Widu.
    Da machte Nina Licht, nahm Widu an die Hand und verließ vorsichtig ihr Zimmer. Im Badezimmer am Ende des Flurs brannte Licht.
    Tante Olga stand über das Waschbecken gebückt und gab Würgegeräusche von sich. Immer wieder erbrach sie sich in das Becken. Das ganze Bad stank säuerlich.
    »Lass uns verschwinden, bevor wir ersticken!«, warnte Widu, und erst machte Nina wirklich wieder kehrt. Aber an ihrer Zimmertür blieb sie stehen und wartete.
    Sie musste lange warten, bis Tante Olga aus dem Badezimmer kam. Sie sah schrecklich aus. Hätte Nina nicht genau gewusst, dass es die Tante war, hätte sie sie für einen grüngelben Zombie gehalten.
    »Oh, Mädchen, das bringt mich um«, stöhnte sie. Mit einer Hand an der Wand Halt suchend, schlurfte sie in ihr Zimmer zurück.
    »Geh zu ihr, sie fühlt sich elend! Aber kein Wunder, sie hat das verdorbene Zeug ja wie eine Wahnsinnige in sich hineingestopft«, flüsterte Widu.
    »Meinst du, ihr ist davon so schlecht?«, fragte Nina.
    »Schweinefurz«, erwiderte die Puppe nur, und Nina musste darüber so lachen, dass sie sich dabei ein bisschen gemein vorkam. Sie musste nämlich an ein Schwein denken, das der Tante in den Mund furzte.
    Zusammen setzten sich Nina und Widu neben die Tante aufs Bett, und Nina streichelte ihr den Arm. Das schien zu helfen, denn wenigstens lächelte die Tante und musste nicht mehr ins Bad.
     
    Ninas Eltern kamen überraschend schon früh am nächsten Morgen zurück. Sie fanden ihre Tochter schlafend auf dem kleinen Teppich vor dem Bett der Tante. Als sie Nina vorsichtig weckten, legten sie den Zeigefinger auf die Lippen, und Nina folgte ihnen mit Widu in die Küche.
    »Tante Olga konnte die ganze Nacht nicht schlafen. Sie hat sich an einem Schweinefurz den Magen verdorben«, erzählte sie.
    Ihr Vater lachte. »Und genauso riecht es auch im Badezimmer«, sagte er. Dann erzählte er, auf der Nordsee habe
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