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Das Herz der 6. Armee

Das Herz der 6. Armee

Titel: Das Herz der 6. Armee
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Seitenblick auf den schlafenden Körner. Und Arzt ist er schon! Und ab morgen verheiratet. Das war ein Punkt seines Denkens, wo bei Knösel das Verständnis aufhörte. Heiraten ohne Braut und Hochzeitsnacht, nur so auf dem Papier … das blieb ihm unbegreiflich.
    »Wie 'ne Molle ohne Schaum!« hatte er bei dem Bekanntwerden der Ferntrauung gesagt. »Wenn ick mir de Hochzeitsnacht nur träumen soll, vazichte ick drauf!«
    Am Abend erreichten sie Pitomnik.
    »Ich halte es für eine Dummheit, verzeih mir, Söhnchen, aber es ist die Meinung eines alten Mannes«, sagte Pawel Nikolajewitsch Abranow und schlürfte aus einem Unterteller heißen Tee.
    Sie saßen in einem Erdbunker im Steilufer der Wolga. Es war ein wohnliches Plätzchen, das sich der Greis Abranow eingerichtet hatte. Aus seinem Stadthaus hatte er noch etwas retten können, bevor er sich in den Leib der Erde verkroch wie ein Känguruh in den Muttersack. Da waren ein Bett an der Wand, ein richtiges weißes Eisenbett mit einer Matratze und zwei Decken, ein eiserner Herd, der gleichzeitig Ofen war, ein Spültisch, ein Kleiderschrank, drei Stühle, ein Tisch, Töpfe und Geschirr … wahrhaftig, es war eine luxuriöse Höhle, in der sich leben ließ, wenn nicht immer die Wände wackelten, sobald eine deutsche Granate oben auf der Kuppe oder unten in der Wolga einschlug.
    Um Abranow, den Greis, herum saßen Vera Tscherkanowa, sein Enkelkind, und der mittelgroße, breitschultrige und immer fröhliche Mladschij-Sergeant Iwan Iwanowitsch Kaljonin.
    Mit Iwan Iwanowitsch und Vera hatte es vor über einem Jahr begonnen. Damals kam der tapfere Sergeant zurück nach Stalingrad in die Traktorenfabrik ›Dsershinski‹, nicht weil er übrig war in der Roten Armee oder man ihn nicht brauchen konnte, sondern weil er ein Facharbeiter war, der etwas von dem verworrenen Innenleben eines Panzers verstand. Und Panzer brauchte man an allen Fronten. Im Eiltempo wurden sie gebaut, auf dem Versuchsgelände eingefahren und dann, umkränzt mit Blumen und Schildern wie ›Fahr in den Sieg!‹ oder ›Fürs Vaterland siege!‹, sofort abtransportiert an die Front.
    Vera Tscherkanowa wiederum war eines der vielen hundert Mädchen, die im Traktorenwerk schweißten und nieteten, die Drähte spannten und Anschlüsse verklemmten, ein fleißiges, liebes, hübsches Mädchen, vor dem die Männer an den Mützen rückten, wenn sie an ihnen vorbeiging. Denn das war kein Gehen mehr, das war ein Schweben. Und stolz war sie. Immer den Kopf im Nacken. Bis Iwan Iwanowitsch ins Werk ›Dsershinski‹ kam und von Panzer zu Panzer kletterte und kontrollierte, ob auch alles richtig sei. Da sahen sie sich beide groß an, und sie wußten, daß von diesem Augenblick an das Leben eine andere Richtung nehmen würde. Wie ein Funken war's, der in beider Herz fiel und sich dort entzündete zu einer heißen Flamme.
    »Ich heiße Iwan Iwanowitsch Kaljonin«, hatte der breitschultrige Mladschij-Sergeant gesagt. »Stalingrad ist eine schöne Stadt. Hier kann man leben.«
    Und Vera Tscherkanowa hatte geantwortet: »Ich heiße Vera. Es freut mich, Genosse, wenn Sie in dieser Stadt leben können …«
    So dumm hatten sie dahergeredet! Aber was sie nicht sagten, sprachen ihre Augen. Und das war viel, viel zu viel auf einmal, um es verarbeiten zu können. Dazu brauchte man Zeit … Und so ging ein Jahr dahin, der alte Abranow lernte Iwan Iwanowitsch kennen und sagte: »Vera! Ich habe deiner Mutter versprochen, auf dich aufzupassen. Es war ihr letzter Wunsch, bevor sie starb. Und Igor, deinem Vater, habe ich die Hand gegeben und gesagt: ›Zieh in den Krieg, Söhnchen, dein Töchterchen Vera wird mein Augapfel sein!‹ Unser guter Igor ist vermißt, und an mir liegt's nun, alles zu entscheiden. Also sei's. Ich entscheide: Bring deinen Iwan Iwanowitsch zu mir, damit ich ihn mir ansehe …«
    So war er, der alte Abranow. Immer ein wenig langatmig in seinen Reden, aber gut, herzensgut! Er hatte Kaljonin umarmt, seinen Bruder genannt, zwei Gläschen Wodka mit ihm geteilt, sich über Politik unterhalten und herausgefunden, daß er ein guter Mensch sei. Dann stießen die Deutschen vor, sie überrannten den Don, sie kamen zur Wolga, und Iwan Iwanowitsch vertauschte den Monteurkittel wieder mit der Uniform, ergriff seine Maschinenpistole und wurde einem Sonderkommando des städtischen Verteidigungskomitees zugeteilt. Es hatte sich mitten in der Neustadt, ein paar Häuserblocks von der Zariza entfernt, verschanzt, und wie gegen den
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