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Das Herz der 6. Armee

Das Herz der 6. Armee

Titel: Das Herz der 6. Armee
Autoren: Heinz G. Konsalik
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schwang eine große Hilflosigkeit. »Es sieht verdammt beschissen aus. Sie kommen vom ›Tennisschläger‹?«
    »Ja.«
    »Da muß ich morgen früh hin.«
    Körner gab dem jungen Offizier die Hand. »Dann viel Glück, Herr Kamerad. In drei Tagen komme ich zurück … dann sehen wir uns vielleicht wieder.«
    »Vielleicht …«
    Der Oberleutnant winkte dem Wagen nach, als Knösel mit knatterndem Motor über die Straße hoppelte, über Steine und durch flache Löcher. An einem abgeholzten und zersplitterten Wäldchen vorbei erreichten sie eine breite Landstraße. Links und rechts lagen abgeschossene sowjetische Panzer, zerfetzte Autos und umgestürzte, zu einem Gewirr zusammengeworfene Telegrafenmaste. Die Toten hatte man weggeräumt und neben der Straße, auf den steppenähnlichen Feldern, begraben. Knösel drückte auf das Gas, als sie die breite Straße erreicht hatten.
    »Wir müssen einen Umweg machen, Herr Assistenzarzt«, sagte er. »Über Gorodistsche und dann übern Tatarenwall. Der nächste Weg, der über die Steppe, ist mir zu unsicher.«
    »Sie werden es schon richtig machen. Wir haben ja Zeit.« Dr. Körner lehnte sich zurück und sah in den fahlen, farblosen Himmel. Morgen heirate ich, dachte er. Marianne Bader, neunzehn Jahre alt, schwarzlockig und süß. Er hatte sie im Zug kennengelernt, bei einem Luftangriff auf freier Strecke. Nebeneinander hatten sie in einem Kornfeld gelegen, während oben auf dem Bahndamm die Flugzeuge um die verlassenen Waggons kreisten und in sie hineinschossen. Das Mädchen war voll Angst an ihn gekrochen und hatte sich wie ein schutzsuchendes Tier an ihn geschmiegt. »Sie brauchen keine Angst zu haben!« hatte er damals gesagt, obwohl ihm selbst ein dicker Kloß in der Kehle saß. Aus dieser Angst im Kornfeld war ihre Liebe geworden.
    Dr. Körner schloß die Augen. Das Rumpeln und Rütteln des Wagens schläferte ein. Im Lazarettkeller hatte es keinen Schlaf gegeben, nur ein paar Stunden unruhiges Hin- und Herwälzen auf einer Matratze, die man aus den Trümmern geborgen hatte. Wenn dann die Ruhe doch kam, weckte einen das Rütteln von Feldwebel Wallritz. Die Zeit war herum … auf dem Küchentisch lagen wieder neue Leiber, aufgerissen und um Hilfe wimmernd.
    Knösel ließ den Assistenzarzt schlafen. Nur einmal hielt er an, schob seinen zusammengerollten Mantel vorsichtig unter den Nacken Körners, deckte ihn mit einer alten Pferdecke zu und fuhr dann weiter. Er ratterte durch Gorodistsche und über den Tatarenwall, vorbei an den riesigen Materiallagern der 6. Armee, an Autokolonnen und Panzerbataillonen, an Nachschubschlangen und Munitionstransportern.
    Hinter Gumrak passierte er ein großes Verpflegungslager. Neun Zahlmeister waren dabei, alle Kisten listenmäßig zu erfassen, die man auslud. Knösel hielt einen Augenblick an, übermannt von Verwunderung. Er sah Büchsen mit Schinken und Schmalzfleisch, Kanister mit Salatöl, Säcke voller Bonbons, Schokolade und sogar Pralinen. Er sah mit sprachlosem Staunen, wie man einen Lastwagen voller Bienenhonigdosen auslud. Ein Stabszahlmeister stand daneben, zählte jede Dose und machte einen Strich in sein Wareneingangsbuch.
    Ein Feldgendarm trat an den Kübelwagen heran. »Hau ab, Wanze!« knurrte er. »Was gibt's hier zu sehen?«
    »Das Märchen vom Schlaraffenland, Kumpel.« Knösel zeigte mit seiner Pfeife auf das Verpflegungslager, das überquoll von Lebensmitteln. »Weißt du, was wir draußen zu fressen kriegen?«
    »Hau ab, sag ich!«
    »Suppe aus Pferdefleisch! Und matschiges Brot. Wer frißt 'n das da?«
    »Wintereinlagerung! Vorratswirtschaft! Verstehste aber nicht! Und nun schwirr ab, sonst hau ich dir eine Meldung wegen Transportbehinderung vor den Kühler! Wen fährste denn da spazieren?«
    »Den zukünftigen Leiter der Charité! Kennste de Charité?«
    »Nee!«
    »Siehste!« Knösel ließ den Motor wieder an. »Der eine kennt det Fressen, der andere hat Kultur!«
    Knatternd fuhr er weiter, oberhalb der Gontschara-Schlucht vorbei, in Richtung auf Pitomnik. Er fuhr jetzt quer durch die Steppe, die wie ein beschmiertes Butterbrot flach vor ihnen lag. Noch staubte es hinter seinem Wagen, aber der Himmel sah schon nach Kälte aus. Dr. Körner schlief fest und mit langen, ruhigen Atemzügen. Knösel stopfte seine Pfeife mit Machorka und blies den Qualm in dicken Wolken von sich. Kenner behaupteten, er müsse eine Lunge aus Leder haben, um das auszuhalten.
    Wie ein großer Junge sieht er aus, dachte Knösel bei einem
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