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Das Herz der 6. Armee

Das Herz der 6. Armee

Titel: Das Herz der 6. Armee
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Minute ab, sprang dann hinaus, kroch zu einem Granatloch und kippte die Eimer aus.
    Auf der anderen Seite des Tisches stand Assistenzarzt Dr. Körner und öffnete eine große Venenklemme. Sie hatte keinen Sinn mehr. Während der Amputation hatte das Blut zu fließen aufgehört. Dr. Portner wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn. Er schwitzte in der stickigen Luft, hielt die Hände von sich und hob den Kopf etwas in den Nacken. Das war ein Zeichen für den Sanitätsfeldwebel Horst Wallritz, die Feldflasche zu nehmen und dem Stabsarzt etwas Tee zwischen die Lippen zu gießen.
    »Sie auch, Körner?« fragte Dr. Portner.
    »Danke, Herr Stabsarzt.«
    »Ich glaube, Sie sind jedesmal erschüttert, wenn einer hier auf dem Tisch Lebewohl sagt, was?« Der neue Verwundete wurde hinausgeschoben, Wallritz schnitt die Uniform auf, ein zerfetzter Bauch, abgedeckt mit Mullagen, kam hervor. An Unterleib und Schenkel war der herausgeflossene Darminhalt festgetrocknet. Dr. Portner tippte mit einer Sonde auf die große, zuckende Wunde. »Sie sind wohl wahnsinnig, Wallritz?«
    »Herr Stabsarzt?«
    »Der nächste! Ist doch dämlich von Ihnen, mir so etwas auf den Tisch zu legen! Bringen Sie mir Leute, die ich retten kann!«
    »Es ist Hauptmann Bertram, Herr Stabsarzt.« Der Sanitätsfeldwebel senkte den Kopf. »Ich dachte …«
    Dr. Portner bemerkte erst jetzt die silbernen Schulterstücke mit den beiden Sternen. Dann sah er wieder in das Gesicht des Sterbenden, in ein dreckverkrustetes, schmal gewordenes, fast kindliches Gesicht.
    »Bertram«, sagte Portner leise und sah dabei seinen Assistenzarzt an. »Gestern noch haben wir zusammengesessen. Er wollte nach dem Krieg Häuser bauen. War Architekt. Jung verheiratet. Zwei Kinder, kurz hintereinander. Und dann kommt ein russisches Explosivgeschoß und reißt ihm den Bauch auf. Statt Häuser zu bauen, wird er jetzt in irgendeinem Granattrichter liegen und mit Trümmersteinen von Stalingrad zugedeckt sein.« Er wischte sich wieder über die Augen und wandte sich um. »Wallritz – abräumen! Der nächste. Aber Leute, die weiterleben können!«
    Im großen Keller hatte die Aussortierung begonnen. Die Reihen wurden einen Augenblick lückenhaft. Aber dann begann ein reger Pendelverkehr. Für jeden Körper von unten kam ein neuer Körper von oben … es war wie eine Paternosterfahrt durch einen Keller: Auf der einen Seite fuhren die wimmernden Körper in die Tiefe, auf der anderen Seite kamen sie steif wieder ans Licht und wurden säuberlich in einem großen Trichter aufgeschichtet. Es war eine Routine des Sterbens.
    In dem kleineren Kellerraum ging die Arbeit weiter. Verbände, Amputationen, Herausoperieren von Steckschüssen, Tetanusspritzen, Morphium, Herzmittel, Kreislaufstützen … Feldwebel Wallritz ging jetzt im großen Keller von Mann zu Mann und wählte aus, wer in den Operationsraum durfte.
    Über ihnen bebte die Erde und krachte es unaufhörlich. Vierhundert Meter entfernt lag der berühmte ›Tennisschläger‹. Seit Wochen berannte man ihn, verbluteten drei Pionierbataillone in den Häuserruinen, konzentrierte sich das Feuer von Artillerie und Minenwerfern auf diesen kleinen Fleck inmitten Stalingrads; und wenn man glaubte, jetzt lebe nicht einmal mehr ein Käfer, krochen aus den Kellern die Sowjets und warfen sich den Deutschen entgegen wie ausgehungerte, brüllende Wölfe. Inmitten dieses Chaos lag der Lazarettkeller Dr. Portners. Er bekam die frisch Verwundeten genauso herein wie die vom Staub unkenntlich gewordenen, notdürftig Verbundenen, die man in Löchern und an Hauswänden vergessen hatte, zurücklassen mußte oder erst nach Tagen entdeckte.
    Ohne Unterbrechung donnerte und explodierte es über ihnen. Wenn es einmal still wurde, so, als schöpften die Kanoniere Atem, sah man nach oben an die Kellerdecke und wartete unruhig. Ruhe war immer gefährlich. Solange es krachte, wußte man, woran man war. Aber plötzliche Stille ließ jeden hellwach werden.
    In eine solche Stille hinein polterte ein Mann die Treppe herunter. Er lief in die Arme von Feldwebel Wallritz, der einen Leichtverwundeten auf der Treppe verband.
    »He! Halt!« Wallritz hielt den Soldaten fest. »Drunten ist's voll genug! Wo hat's dich erwischt? Bist ja noch flott auf'n Beinen!« Ein breites, fast schwarz durch Ruß und Dreck verschmiertes Gesicht grinste Wallritz an. »Hänschen ist wohlauf!« sagte der Soldat. »Ich muß zu Assistenzarzt Dr. Körner –«
    »Der operiert, du Idiot! Was ist los?
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