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Das Herz der 6. Armee

Das Herz der 6. Armee

Titel: Das Herz der 6. Armee
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Deutschen wegzujagen. Und wenn es uns erst gelingt, sie einzuschließen … wenn sie keinen Nachschub mehr haben …« Abranow schwieg gedankenvoll. Es war zu schön, daran zu denken. Er liebte diese Stadt, in deren Straßen er als Junge gespielt hatte, als diese Straßen noch ungepflasterte, staubige Wege waren und die Altstadt noch Zarizyn hieß, und er konnte grausam denken, wenn es um diese, um seine Stadt ging.
    Um sie herum hämmerten die Granaten auf den Rand des Steilufers. Dreckschleier zogen über ihre Körper hin, Abranow mußte husten, und Major Kubowski sprang auf und schüttelte sich wie ein nasser Hund.
    »Ein Glück, daß sie noch nicht um die Ecke schießen können!« sagte er. Von den seitlich liegenden Sanitätsbunkern kam eine Gestalt durch die Bodenfalten gehüpft und winkte mit beiden Händen. Ein schmaler Körper in grüner Uniform.
    »Pawel Nikolajewitsch!« rief eine helle Stimme. »Väterchen! Sie werden gesucht!« Zwei Arme winkten heftig. Abranow erhob sich und winkte zurück.
    »Das ist Vera Tscherkanowa, meiner Tochter Kind«, sagte er stolz. »Dient als Sanitäterin. Ein tapferes Mädchen. Sie sehen, Genosse Major – man braucht mich im Lazarett.«
    Abranow lief über Steine und Bunkerdächer. Sein weißes langes Haar flatterte, ab und zu sprang er über abgestützte Wände herunter, und er federte beim Aufprall in den Knien, als sei er ein junger Sportler.
    Major Jewgenij Alexandrowitsch Kubowski blieb noch eine Weile stehen und sah über die Wolga und zu dem dampfenden, krachenden Wald von Krasnaja Sloboda.
    Stalingrad, dachte er. Auch mich wird man hier verscharren. In einem Granatloch, in einem Keller, unter Trümmern, vielleicht unter einem Dom von verbogenen Eisenträgern oder am Fundament einer geborstenen Mauer. Es kann morgen sein oder übermorgen … nur heute nicht. Heute ist man ein Fuchs, der sich in den Steilhang des Wolgaufers wühlt. Er sah auf seine Uhr. Vier Uhr nachmittags. In einer Stunde würde es dunkel werden. Um halb sechs mußte er sich bei dem Genossen General Borowin melden. Und morgen bekam er ein neues Bataillon. In Gruppen sprang man dann in die Hölle, in die heulende Wüste des ›Tennisschlägers‹. Es war, trotz Liebe zum Vaterland, nicht erhebend, daran zu denken.
    Mit ernstem Gesicht drehte sich Major Kubowski eine neue Zigarette. Diesmal nahm er dazu ein Stückchen von der Kulturseite der ›Prawda‹.
    In dem größten Keller lagen sie nebeneinander, Schulter an Schulter, Hüfte an Hüfte, Beine an Beine, sauber ausgerichtet und aneinandergeschichtet, als sollten sie verpackt werden … zerfetzte, blutende, röchelnde, vergehende, stöhnende, wimmernde, sich streckende und erstarrende Leiber. Eine Wolke von Blutgeruch, Eiter und Schweiß lag wie ein Gas über ihnen, klebrig und sich im Gaumen festsaugend. Im kleineren Nebenkeller wurde operiert. Nur eine wacklige Holztür trennte den Raum von dem anderen ab. Ab und zu hörte man einen Schrei, ein helles Wimmern, Stimmen, die Tür klappte auf, zwei Sanitäter trugen einen Körper heraus, schoben einen auf dem Boden liegenden Leib hinaus in den Gang und den Operierten in die Lücke hinein. Auf der Treppe hockte als zusammengeballte Masse ein Klumpen Gehfähiger. Armverletzte, Kopfverwundete, Schulterschüsse, Fleischwunden, um die man dicke Lagen Zellstoff gelegt hatte.
    »Vier kannste wieder raustragen, Emil!« rief einer aus dem Klumpen einem Sani zu. »Draußen auf der Straße liegen noch zweiundzwanzig, die auf'n Platz warten …«
    Der Sanitäter überblickte die aneinandergereihten Körper. Wenn sie die Augen nicht offen hatten, sahen sie alle gleich aus. Spitze, dreckige Gesichter, eingesunkene Augen, durchblutete Verbände. Man mußte schon von Mann zu Mann gehen, um festzustellen, wer nun gestorben war.
    »Muß man denn alles allein tun?« maulte der Sanitäter Emil. »Wenn ihr loofen könnt, so holt doch die Kameraden raus und macht Platz! Ich muß doch beim Operieren helfen! Los, bewegt euch, ihr Krücken! Seid froh, daß ihr kriechen könnt …«
    Sie nahmen den auf den Gang geschobenen Körper und trugen ihn in den kleinen Kellerraum.
    Hier arbeitete Stabsarzt Dr. Portner an einem gescheuerten Küchentisch. Neben ihm standen drei Blecheimer, in die er die Mullbinden warf, die herausgeschnittenen Fleischfetzen und die amputierten Gliedmaßen. Wenn die Eimer voll waren, trug sie Sanitäter Emil hinaus, vorbei an den aufgereihten Schwerverletzten, wartete auf der Kellertreppe eine ruhige
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