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Das Herz der 6. Armee

Das Herz der 6. Armee

Titel: Das Herz der 6. Armee
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Propagandist. Man muß so reden, und niemand nahm's ihm übel.
    Am Abend, eine Stunde später, grub Abranow eine versteckte Flasche Wodka aus der Erde.
    Er war eben ein alter Fuchs, der Pawel Nikolajewitsch.
    Es war alles vorbereitet.
    Ein Tisch stand da, mit einer weißen Decke, ein Asternstrauß in einer Vase, ein geflochtener Kranz aus verblichenen Immortellen, vier alte Stühle mit geflickten Korbsitzen, ein zugeschraubter Füllfederhalber und ein paar Blatt Papier in einer ledernen Schreibmappe, auf die eine stolze Hansekogge eingeprägt war. Links an der Wand hing ein Bild Hitlers, rechts, ihm gegenüber, ein hölzernes Kruzifix. Auf einem der beiden Stühle lag ein Blumengebinde. Neben der Schreibmappe stand ein anderes Kruzifix, aus vergoldetem Messing, aufgesetzt auf einen weißen Marmorsockel.
    Sonst war der Raum leer. Die Morgensonne schien aus einem dunstigen Himmel, glanzlos und wie beschlagen. Auf dem Flugplatz von Pitomnik landeten in kurzen Abständen die Transportmaschinen. Dicke, behäbige Ju 52 rollten zu den Lagerschuppen und wurden ausgeladen. Munition, Pak, leichte Flak, Panzerersatzteile, Autowerkstätten, Verpflegung. Als Rückladung nahmen sie Schwerverwundete mit, die rund um den Flugplatz in Blockhütten, Zelten oder Sanitätskraftwagen warteten. Ein kleines Heer von Zahlmeistern war vollauf beschäftigt, Ordnung herzustellen und die herangeflogenen wertvollen Güter sofort auf Lager zu nehmen und dem Anblick Unbefugter zu entziehen.
    Im Offizierskasino des Feldlazaretts Pitomnik stand Assistenzarzt Dr. Körner im Kreis trinkender und politisierender Kameraden. Irgendwie kam er sich verlassen vor inmitten der Menge sauberer Uniformen aus glänzendem Tuch und mit gepflegten, blitzenden Auszeichnungen.
    Oberst von der Haagen führte das Wort. Er entwickelte seine Theorie, wie man nach dem endgültigen Fall von Stalingrad durch die kasachstanische Steppe stoßen könnte, um in einem weiten Bogen das sagenhafte Industriegebiet im Innern Sibiriens zu erobern. An der chinesischen und mandschurischen Grenze vorbei konnte man dann bis nach Wladiwostok vorstoßen. Von dort war es ein Sprung hinüber nach Alaska.
    »Sie sehen, meine Herren«, sagte Oberst von der Haagen und hob sein Weinglas, »der Weitblick des Führers ist genial, einmalig in der Geschichte. Stalingrad bringt die Entscheidung, das hat man im Führerhauptquartier klar erkannt. Nicht Moskau, wie man zuerst dachte! Die Seele Rußlands ist nicht der Kreml, sondern Sibirien. Wir gehen einer neuen Weltordnung entgegen …«
    In einer Ecke stand der katholische Feldgeistliche, Pfarrer Paul Webern. Er beteiligte sich nicht an der Verteilung der Welt. Still beobachtete er Dr. Körner, der mitten im Kreis der Offiziere stand, sein Glas umklammerte, als wolle man es ihm entreißen, und den Reden von der Haagens zuhörte mit der Abwesenheit eines Hypnotisierten.
    Pfarrer Webern sah Körner heute morgen zum erstenmal. Am Abend hatte er eigentlich gleich nach der Ankunft des Arztes mit ihm sprechen wollen, aber in der Baracke III starben drei Schwerverwundete und mußten die Letzte Ölung erhalten. Bis zum Morgen hatte er an ihren Holzpritschen gesessen und gebetet, bis der letzte gestorben war. Kaum daß sie sich gestreckt hatten, wurden sie von der Pritsche geschoben und hinausgetragen. Man brauchte die Betten für den unaufhörlichen Nachschub, der über die Steppe von Stalingrad heranrollte.
    Zufällig trafen sich die Blicke Pfarrer Weberns und Dr. Körners. Sie sahen sich an, und Körner stellte sein Glas ab, drängte sich durch den Kreis der Offiziere und kam auf den Pfarrer zu.
    »Sie wollen mir etwas sagen, Herr Pfarrer?« fragte er. Es schien, als sei er erleichtert, aus dem Kreis der Welteroberer herausgekommen zu sein.
    »Ich? Nein! Wie kommen Sie darauf?«
    »Sie sahen mich so an.«
    Über das schmale, blasse Gesicht Pfarrer Weberns huschte ein leichtes Lächeln.
    »Ich beobachtete nur, Doktor.«
    »Mich?«
    »Den illustren Kreis. Es ist erstaunlich, welch erdkundliche Kenntnisse die Herren besitzen.«
    »Warum so sarkastisch, Herr Pfarrer?«
    »Ich bin nur ein paar Tage hier in Pitomnik. Bis vorigen Mittwoch lag ich in einem Keller westlich des Stalingrader Hauptbahnhofes. Ich hörte, Sie kommen vom ›Tennisschläger‹ …«
    »Ja.«
    »Ist Ihnen da unten in Ihrem Keller schon der Gedanke gekommen, daß wir an der chinesisch-mandschurischen Grenze vorbeistoßen könnten bis Wladiwostok …?«
    Dr. Körner verstand. Er blickte auf
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