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Das Haus in den Wolken

Titel: Das Haus in den Wolken
Autoren: Judith Lennox
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und verändert.
    Er war deshalb froh gewesen, das Gut in der Obhut seiner Mutter zurücklassen zu können, um nach London zu gehen, wo er sehr schnell Fuß fasste. Er liebte diese Stadt mit ihrer brodelnden Energie und Betriebsamkeit, in der man das Geld beinahe riechen konnte. Der Handel war ihr Geschäft, am deutlichsten war das in der City und im Hafen zu spüren, wo die großen Schiffe ihre Waren aus dem Empire abluden und ihre Frachträume mit den Erzeugnissen der Baumwollspinnereien und Eisengießereien füllten, bevor sie zu ihrer nächsten Reise um die Welt in See stachen.
    Richard hatte zunächst bei einer Importgesellschaft gearbeitet, die von einem Freund der Familie geleitet wurde. Nach drei Jahren hatte er sich selbstständig gemacht. Er hatte entdeckt, dass er von Natur aus mit einem gut entwickelten Geschäftssinn ausgestattet war, fähig, kaltblütig und unsentimental zu handeln, und dass er ein Gespür für aufstrebende Industriezweige besaß und solche, die ihre beste Zeit überschritten hatten und sich im Niedergang befanden. Sobald er volljährig geworden war, verkaufte er, was von den finanziellen Anlagen seines Vaters noch übrig war. Der Erlös aus den Papieren war bescheiden, aber ein Grundstück in einem der besten Viertel Londons, Restbestand eines früher einmal beachtlichen Grundbesitzes in der Stadt, brachte ihm eine große Summe ein.
    Mit einem Teil des Geldes hatte er die drängendsten Schulden auf dem irischen Besitz bezahlt. Danach blieb ihm genug, um einen Teeverpackungsbetrieb zu kaufen und eine kleine Knopfmacherei im East End von London. Ein Anfang, sagte er sich; der erste Schritt auf dem Weg zu dem Geschäftsimperium, das er, Richard Finborough, aufzubauen gedachte. Früher waren die Finboroughs reich und mächtig gewesen, mit großartigen Besitzungen und Ländereien zu beiden Seiten der irischen See. Die Zeit, der Lauf der Geschichte und unkluge finanzielle Manöver seines Vaters hatten der Familie das fast alles genommen. Der Verlust hatte Richards Ehrgeiz hervorgerufen, die frühe Bedrohung völligen Ruins ihn gespeist. Richard Finborough würde nicht rasten noch ruhen, solange Glanz und Wohlstand der Familie nicht wiederhergestellt waren.
    Er blieb an diesem Abend seiner Rückkehr nach London lang in der Firma; es war neun vorbei, als er nach Hause in seine Wohnung in Piccadilly kam. Der Zorn über Isabel Zeale hatte nachgelassen, andere, komplexere Gefühle hatten sich eingestellt. Er verzichtete auf den Imbiss, den sein Diener ihm zubereiten wollte, zog sich nur um und ging gleich wieder. Nachdem er in seinem Klub zu Abend gegessen hatte, begab er sich in die Charles Street zu einem Empfang, auf dem er, wie er wusste, Violet Sullivan antreffen würde.
    Violet war die jüngere Tochter des Großindustriellen Lambert Sullivan, eine hübsche, selbstsichere junge Frau, die gern flirtete. Richard verband seit einigen Monaten eine lose Beziehung mit ihr, ein-, zweimal hatte er sogar mit dem Gedanken gespielt, sie zu heiraten. Sie hatte einen appetitlichen Körper, und eine Verbindung mit der mächtigen Familie Sullivan konnte nur zu seinem Vorteil sein.
    An diesem Abend jedoch vermochte sie ihn nicht zu fesseln. Die koketten Augenaufschläge und das mädchenhafte Gekicher kamen ihm künstlich und berechnend vor, das Gesicht mit der makellosen Haut, die wie Elfenbein schimmerte, nichtssagend, das Geplauder dümmlich. Immer wieder schob sich beim Gespräch mit ihr Isabel Zeales Bild mit seiner geheimnisvollen, beinahe unirdischen Schönheit vor Richards Blick.
    Er verabschiedete sich früh. Der Himmel war sternenklar. Eine Zeit lang ging er ziellos vor sich hin und genoss nach den überheizten Räumen die Kühle der Nacht. Später setzte er sich in ein Pub, bestellte einen Brandy und dachte an den Morgen zurück.
    Ich weiß, was im Ort über mich geredet wird, Mr. Finborough.
    Am Tag zuvor hatte die Schmiedsfrau ganz unverhohlen ihre Abneigung gegen Isabel Zeale gezeigt. Man brauchte nicht allzu viel Phantasie, um sich denken zu können, was die Leute an ihr auszusetzen hatten. Ihr Stolz, ihre Zurückhaltung, ihr Verlangen, in Ruhe gelassen zu werden, und natürlich ihre Schönheit boten Anlass genug zu Unmut und Klatsch. Sie war vermutlich eine unkonventionelle Frau, und in kleinen, weltfernen Dörfern und Gemeinden erregte seiner Erfahrung
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