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Das Haus in den Wolken

Titel: Das Haus in den Wolken
Autoren: Judith Lennox
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nach Misstrauen, wer sich nicht an die Konventionen hielt.
    Richard trank den Brandy aus und bestellte sich noch einen. Die geballte Missbilligung von Isabel Zeales Nachbarn galt natürlich dem unmoralischen Lebenswandel, den man ihr unterstellte. Die Männer begehrten sie, und die Frauen beneideten sie. Sein Interesse an ihr – seine Fragen an die Bedienung und die Schmiedsfrau – hatten zweifellos Kopfschütteln und geringschätzige Kommentare hervorgerufen. Es war gut möglich, dass er, ohne es zu wollen, zu Isabel Zeales Schwierigkeiten beigetragen hatte. Und jetzt begriff er auch, dass sie wahrscheinlich geglaubt hatte, sein Interesse an ihr wäre durch den Dorfklatsch geweckt worden; dass sie geglaubt hatte, er hätte sie angesprochen, weil er sie für eine leichte Person hielt.
    Richard senkte den Kopf in die Hände. Zu peinlich war ihm seine Unüberlegtheit. Vergiss die Frau, sagte er sich. In London gab es Hunderte schöner Frauen, Hunderte von Meilen trennten London von Lynton. Er brauchte sie nie wiederzusehen.
    Angenehm benebelt vom Alkohol, machte er sich auf den Weg quer durch die Stadt zum Haus seiner Geliebten, Sally Peach.

    In den folgenden Tagen konzentrierte sich Richard auf die Arbeit und seine geschäftlichen Pläne. Die Teeverpackungsfabrik hatte Möglichkeiten, aber das Werksgelände war beschränkt und erlaubte keine Erweiterung; und die Knopfmacherei bestand eigentlich nur aus einem Schuppen, in dem Frauen in Reihen nebeneinander mit zusammengekniffenen Augen bei schlechtem Licht arbeiteten. Beide Unternehmen mussten wachsen, wenn sie überleben und gedeihen sollten. Die Arbeiter begannen, höhere Löhne zu fordern; wenn die Leute erst mehr verdienten, würden sie auch mehr ausgeben können, und das wollte sich Richard zunutze machen. Er wusste, dass die Zeiten vorbei waren, da es allein die Bedürfnisse der Reichen zu bedienen galt, und wollte sich auf keinen Fall von Veränderungen, die seiner Meinung nach unausweichlich waren, überrollen lassen. Er würde kein Vermögen damit verdienen, dass er edle Tees an die Reichen verkaufte; ganz anders würde es wahrscheinlich aussehen, wenn er den Leuten, die kein so dickes Portemonnaie hatten, einen preiswerteren Tee in attraktiver Verpackung anbot.
    Und was die Knopfmacherei anging, so waren Knöpfe aus Perlmutt, Schildpatt und Glas zwar eine feine Sache, aber ihre Herstellung war aufwendig und teuer. Richard suchte schon seit einiger Zeit nach einem billigeren und praktischeren Material. Anfang des Jahres hatte er Sidney Colville kennengelernt, einen Chemiker, der sich für die Eigenschaften und Verwendungsmöglichkeiten von Casein-Kunststoffen wie Galalith interessierte. Er war ein merkwürdiger Geselle, ein menschenscheuer Eigenbrötler, der sich manchmal wochenlang in seine Arbeit vergrub und dann für niemanden zu sprechen war. Viel Zeit verbrachte er im West Country bei seiner invaliden Schwester Christina. Richard fand, es wäre an der Zeit, ihn wieder einmal zu besuchen.
    Er verabredete sich mit den Colvilles und vereinbarte mit John Temple, dass dieser ihn während seiner Abwesenheit vertreten würde. Er war sich durchaus bewusst, dass nicht allein der Wunsch, sich über Casein-Kunststoffe zu informieren, ihn erneut nach Devon trieb. Diesmal, nahm er sich vor, würde er sehr behutsam vorgehen. Sidney Colville und Isabel Zeale hatten etwas gemeinsam: Sie waren beide sehr empfindlich.

    Richard traf am späten Nachmittag in Lynton ein, als der Himmel sich schon zu verdunkeln begann. Voll Ungeduld, Isabel Zeale wiederzusehen, fuhr er nicht erst zum Hotel, wie er eigentlich vorgehabt hatte, sondern lenkte den Wagen gleich die steile, schmale Straße hinauf, die zum Orchard House führte.
    Nachdem er den Wagen abgestellt hatte, trat er zur Pforte und erblickte drüben, im Garten, Isabel Zeale. Ihr Anblick traf ihn beinahe wie ein Stich ins Herz, merkwürdige Gefühle bewegten ihn: Freude und Angst und etwas wie gespannte Erwartung, als wäre er im Begriff, eine lange, schwierige Reise anzutreten. Und obwohl sie kaum mehr als ein Dutzend Worte gewechselt hatten, erschien sie ihm so vertraut, als kennte er sie schon seit Langem.
    Einige Minuten lang beobachtete er sie unbemerkt. Der Wind fegte über den ungeschützt am Hang liegenden Garten, riss an ihrem Haar und bauschte ihren Rock. Sie wirkte wie getrieben bei ihrer Arbeit, beinahe
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