Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Haus in den Wolken

Titel: Das Haus in den Wolken
Autoren: Judith Lennox
Vom Netzwerk:
nicht nötig.«
    Er beachtete die Zurückweisung nicht. »Am besten wäre eine Schaufel. Wissen Sie, ob im Schuppen eine steht?«
    Nach den Aufräumungsarbeiten bat sie ihn ins Haus, damit er sich frisch machen konnte. Als er aus dem Badezimmer kam, sagte er: »Und jetzt brauchen wir dringend ein kräftiges Frühstück. Würden Sie es uns machen, Miss Zeale? Sie können das bestimmt besser als die Köche im Hotel, die lassen immer den Schinkenspeck anbrennen.«
    Während sie in der Küche hantierte, erzählte er ihr von seiner Kindheit in Irland, von Angelausflügen und Spielen am Strand; wie bitterlich er geweint hatte, als er mit acht Jahren von zu Hause fortmusste, um in England ein Internat zu besuchen, wie er die Tage bis zu den Schulferien gezählt hatte. Er erzählte und nahm dabei alles um sich herum mit einer großen Klarheit wahr: den Duft des bratenden Schinkenspecks, den intensiven Geruch der Orangenmarmelade, das Zischen des heißen Fetts, das Geräusch ihrer Schritte auf dem gefliesten Boden. Und vor allem die Frau – das dunkle Haar, das ihr über die Wange fiel, das feine Handgelenk unter der Manschette ihres Blusenärmels, an der sich ein Knopf geöffnet hatte. Er hätte alles darum gegeben, diese schlanke weiße Hand zu streicheln, diese zarte Haut zu küssen, ihren Duft einzuatmen. Ihm schwindelte beinahe vor Verlangen nach Isabel Zeale.
    Sie stellte ihm einen Teller hin. Als er sie fragen hörte: »Geht es Ihnen gut, Mr. Finborough?«, merkte er, dass seine Hände zitterten.
    Â»Ganz ausgezeichnet«, antwortete er und begann zu essen, obwohl er plötzlich den Appetit verloren hatte und die Eier mit Schinken, die Miss Zeale für ihn zubereitet hatte, nach nichts schmeckten.

    An diesem Nachmittag wanderte er über die Felsklippen westlich von Lynmouth, und während er vom Kap zu den Wellen hinunterschaute, die an die Felsen brandeten, dachte er an Isabel Zeale. Er sah sie vor sich, stolz und aufrecht, mit dem vollen glänzend schwarzen Haar, der hellen Haut und den grünblauen Augen, die wie Aquamarine schimmerten. Was an ihr hielt ihn hier, zwang ihn zu bleiben, obwohl Vernunft und gesunder Menschenverstand ihn drängten, nach London zurückzukehren und sie nie wiederzusehen?
    Offenbar hatte er sich in sie verliebt. Er quittierte den Gedanken mit einem rauen Lachen, das beinahe wie ein Stöhnen klang. Der Wind schlug plötzlich um und peitschte ihm Regen ins Gesicht. Er war die ersten fünfundzwanzig Jahre seines Lebens gut zurechtgekommen, ohne sich zu verlieben – warum musste es ausgerechnet jetzt passieren? Warum ausgerechnet hier? Warum musste es ausgerechnet diese Frau sein? Isabel Zeale stand gesellschaftlich weit unter ihm. Sie war eine Angestellte, eine Haushälterin. Sie hatte, gelinde gesagt, einen zweifelhaften Ruf und war mit ihrem abweisenden Stolz und ihrer scharfen Zunge nicht gerade liebenswert. Vielleicht, sagte er sich ironisch, hatte er es nicht anders verdient, nachdem er jahrelang der Form halber Liebe geheuchelt und den Frauen nur etwas vorgemacht hatte, den Debütantinnen, mit denen er getanzt, den jungen Mädchen, mit denen er geflirtet hatte, den verheirateten Frauen, die, von ihren reichen, wesentlich älteren Ehemännern gelangweilt, das Abenteuer mit ihm gesucht hatten.
    Als es nach einer Weile stärker zu regnen begann, kehrte er um. Die See war grau und glanzlos, und es wurde jetzt schnell dunkel. Er wusste, dass er abreisen sollte; abreisen und niemals zurückkehren. Was sollte das, für eine Frau wie Isabel Zeale den edlen Ritter zu spielen? Er wusste, dass es ihm nicht genug war, der gute Freund zu sein, der ihr den Einkaufskorb trug und die Gartenarbeit abnahm. Warum aber suchte er sie immer wieder auf? Wollte er sie mürbe machen, sie sich verpflichten, ihr eine Art emotionale Bindung aufzwingen, das Gefühl, dass sie ihm etwas schuldete? Das wäre gemein, ein unanständiges Ausspielen seiner finanziellen und gesellschaftlichen Überlegenheit. Er wäre dann keinen Deut besser als die Salters.
    Isabel Zeale war mittellos, hatte keine Freunde, würde bald auch heimatlos sein. Ihr ganzes stolzes Beharren auf ihrer Selbstständigkeit änderte nichts daran, dass sie, eine alleinstehende Frau, zu den Schutzlosesten der Gesellschaft gehörte. Und durch ihre aufsehenerregende Schönheit war sie umso
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher