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Das Haus der Bronskis

Das Haus der Bronskis

Titel: Das Haus der Bronskis
Autoren: Philip Marsden
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Gesicht geleckt und sich dann neben ihm zusammengerollt, tot.
    »Vielleicht war es einer von unseren . . .«
    Und die Tränen liefen ihr wie Erbsen die Wangen herunter.
     
    Wir verließen Minsk ein paar Tage danach auf einer von blau-, grün- und gelbgestrichenen Holzhäusern gesäumten Straße. Unsere Verbindungsleute hatten einen Lada und einen russischen Fahrer namens Andrej aufgetrieben.
    Wir fuhren nach Westen, ließen die Ausläufer der Stadt hinter uns und kamen in den Wald. Den Morgen verhängte ein trüber, regenträchtiger Himmel. Das Land unter ihm hatte sich flach gemacht und in die Schatten verkrochen. Wir sprachen nicht. Der Wald wurde dichter, die Ortschaften wurden seltener, wichen dann gänzlich der Puszcza Nalibocka, einem ausgedehnten Waldgebiet voller Wisente, das die Größe einer kleinen Grafschaft hat. Der Regen begann in dicken Tropfen zu fallen, die sich über die Windschutzscheibe verteilten. Andrej hielt, sprang hinaus, preßte mit der einen Hand seine Jackenaufschläge zusammen und befestigte mit der anderen die Scheibenwischer.
    Die Wolke sank tiefer. Sie wickelte sich um die Kiefernspitzen. Dann und wann kamen Lichtungen, doch jenseits davon wieder Bäume, wieder Wald. Der Eindruck war der einer unerbittlichen Ewigkeit.
    Zofia seufzte. Sie schaute aus dem Fenster, sah die Bäume vorbeihuschen. Ich spürte ihren inneren Aufruhr,sah in ihren Augen einen Schatten der Katastrophe von damals. Wir redeten nicht.
    Die
puszcza
hörte auf, und die Bäume wichen Feldern. Vieh sprenkelte die feuchten grünen Flächen, und dann auf einmal brachen die Wolken auf, und die Sonne schien. Sie beschien Wiesen und Feldwege, die dampfenden Strohdächer von Heuschuppen. Der Njemen war jetzt ganz nah. Mantuski war keine Stunde mehr entfernt.
    Zofia drehte sich zu mir und flüsterte lächelnd: »Weißt du, Phiilip, ich kann es kaum glauben! Noch vor Sonnenuntergang werde ich in Mantuski sein, nach dreiundfünfzig Jahren   – und ein Russe fährt mich dahin, der überhaupt nicht darauf aus zu sein scheint, mich umzubringen!«
     
    Wir bogen von der Hauptstraße ab und fuhren über einen spärlich geschotterten Weg auf das Dorf Mantuski zu. Es bestand aus einer langen Straße mit zwei Reihen von Holzhäusern. Zwischen den Häusern blinkte das blasse Fischrückenblau des Njemen.
    Wir hielten neben dem Dorfbrunnen. Ein alter Mann kam gemächlich die Straße heraufgetrottet, mal im Schatten der Kastanien, dann wieder nicht. Die Sonne stand tief hinter den Bäumen.
    Nach einer Weile langte der alte Mann bei uns an. Mit schiefgelegtem Kopf musterte er uns nacheinander. Zofia gab ihm die Hand und sagte zu ihm: »Ich bin Panna Brońska. Zofia Brońska.«
    Der alte Mann blinzelte. »Was?«
    »Ich bin Zofia Brońska.«
    »Zofia Brońska?«
    »Ja.«
    Er nahm seine Mütze ab, zwinkerte wieder. Sah sie an und runzelte die Stirn. »Die kleine Zośka?«
    Sie nickte.
    »
Nie . . . nie prawda . . . nie prawda
, die kleine Zośka auf ihrem Pony! Am Fluß, in einem roten Kleid und mit Zöpfen . . . Panna Zośka, Panna Zośka,
nie prawda, nie prawda . . .
«
    Die Tränen überkamen ihn, und er konnte nicht weitersprechen.
    Zofia beugte sich zu dem alten Mann und küßte ihn, auch sie weinte. ». . . mein Pony, ja, Sie erinnern sich daran, und an das rote Kleid . . .«
    Der alte Mann machte sich wieder von ihr los. Mit nassen Augen sah er sie an. »Aber warum«, stotterte er, »warum sind Sie so alt?«
     
    Ich fragte ihn nach dem Haus.
    »Das Haus? Der
dwór
?« Der alte Mann versuchte mühsam, sich eine Zigarette anzuzünden.
»Nie ma!«
sagte er und inhalierte heftig.
»Nie ma domu.«
    Das war es also:
nie ma domu.
Es gab kein Haus. Ich sah zu Zofia hin; sie schien zu benommen, um das in sich aufzunehmen.
    »Wir sollten auf jeden Fall nachsehen«, sagte ich.
    Wir fuhren weiter, durch das Dorf hindurch, an den letzten Häusern vorbei. Zofia paßte genau auf.
    »Es war ein ganzes Stück weit weg vom Dorf . . . diese Hütten sind neu . . . da war ein Kreuz, Micha ł s Kreuz hieß es bei uns, ich weiß nicht mehr genau, wo . . . und dann kam die Auffahrtsallee. Aber ich kann hier nichts davon erkennen . . .«
    Wir kamen wieder in den Wald. Zu unserer Linken, in einiger Entfernung hinter den Bäumen, war der Njemen. Wir fuhren langsam weiter, und der Wald machte einem großen Kartoffelacker Platz.
    »Nein, das muß schon zu weit sein.«
    Wir nahmen eine Abkürzung durch den Wald zum Fluß und am Fluß entlang zurück.
    »Oh, der
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