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Das Haus der bösen Mädchen: Roman

Das Haus der bösen Mädchen: Roman

Titel: Das Haus der bösen Mädchen: Roman
Autoren: Polina Daschkowa
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das war falsch. Richtige Helden weinten nie.
    Die Pistole wurde ihr aus der Hand geschlagen, aber trotzdem ertönte ein Schuss. Aus einem dunklen Fenster des Hauses. Die Kugel flog über den Kopf von Hauptmann Kossizki hinweg, genau in dem Moment, als er das rothaarige Mädchen zu Boden geworfen hatte und die für die dünnen Ärmchen viel zu großen Handschellen zuschnappen ließ.
    Isolda Kusnezowa wurde im Keller gefunden. Sie saß auf einem hohen Stuhl vor einem umgekehrten Kruzifix. Sie trug ein weites schwarzes Gewand. Bei der Verhaftung lachte sie schallend, fluchte, spuckte jedem ins Gesicht und beantwortete keine einzige Frage.
    Neben ihr lag eine Pistole. Vielleicht hatte sie sich umbringen wollen, als die Kellertür aufgebrochen wurde, es aber nicht fertiggebracht.
    Das später erstellte psychiatrische Gutachten befand sie für zurechnungsfähig.

Fünfunddreißigstes Kapitel
    Unterleutnant Nikolai Teletschkin war beim Blättern in alten Sportzeitschriften in der Krankenhausbibliothek auf ein Interview mit dem russischen Boxmeister im Leichtgewicht von 1991 gestoßen. Es enthielt viele Fotos – im Ring und auf dem Siegerpodest mit dem Pokal in den erhobenen Händen. Teletschkin rief sofort Borodin auf dem Handy an. Der heuchelte Erstaunen und Freude – weil er Teletschkin nicht enttäuschen wollte, sagte er ihm nicht, dass sie den Täter bereits identifiziert hatten. Sollte Nikolai ruhig denken, er wäre der Erste gewesen.
    Von sieben Uhr abends bis Mitternacht hatte die Miliz in Moskau und Umgebung einhundertzwanzig Männer festgenommen,die Ähnlichkeit mit Ruslan Krawtschuk hatten. Und wieder freigelassen. Totenschädel (so nannten die Kriminalisten den Täter intern) war wie vom Erdboden verschluckt.
    Borodin saß bei Jewgenija in der Küche, trank die dritte Tasse ausgezeichneten Tee mit Kardamom, ging alle zehn Minuten zum Telefon im Flur, wählte eine Nummer, lauschte auf das Amtszeichen und kam wieder in die Küche.
    »Wollen Sie sich mit Madam Solodkina treffen?«, fragte Jewgenija.
    »Noch nicht.«
    »Sie halten es für ausgeschlossen, dass Galina Solodkina bei Olgas Tod vor zehn Jahren nachgeholfen hat?«
    »Ja, absolut. Sie befand sich vom achtundzwanzigsten Juni bis zum sechsten Juli 1989 auf einer Urlaubsreise in Griechenland.«
    »Und der Brief?«
    »Olga Kolomejez war manisch-depressiv, sie wurde deshalb von der örtlichen psychiatrischen Beratungsstelle betreut. Seit ihrem dreizehnten Lebensjahr hatte sie acht Selbstmordversuche unternommen und dabei jedes Mal einen Brief hinterlassen. Der letzte Versuch gelang. Vielleicht, weil keine Zuschauer in der Nähe waren. Galina hatte bei all ihrem Hass auf Olga bei der Sparkasse ein Konto für sie eingerichtet und überwies ihr regelmäßig Geld. Und zwar beträchtliche Summen. Ich habe mit der Dame nichts zu besprechen. Um die Bestechung und die falschen Papiere kümmern sich andere.«
    »Warum hat sie ihre Enkelin verleugnet?«
    »Das hat sie nicht, sie hat sich freigekauft. Sie hat das Heim mit großzügigen Spenden unterstützt. Damit hatte sie ein reines Gewissen, und niemand wusste, dass ihr einziger Sohn, ihr Stolz und ihre Freude, drogensüchtig und ihr Enkelkind debil ist. Lilja Kolomejez wurde vor allem deshalb getötet, weil Isolda Kusnezowa fürchtete, diese großzügigen Spendenzu verlieren. Aber das spielt nun keine Rolle mehr. Was in der Familie Solodkin vorging, ist ein ganz gewöhnlicher, alltäglicher Albtraum.«
    »Wenn Sie mich fragen, war Lilja Kolomejez als Einzige unschuldig. Warum musste gerade sie sterben?«, fragte Jewgenija leise.
    »Tja, Pech, Schicksal, wie ein Tornado. Sie war einfach zur falschen Zeit am falschen Ort.« Borodin zuckte die Achseln. »Und der Täter läuft noch immer frei herum, weil ich ihn nicht erwischt habe.«
    »Sie haben getan, was Sie konnten.«
    »Ich habe gar nichts getan. Ich bin ein schlechter Ermittler.« Borodin streckte die Hand aus und zog eine Zigarette aus Jewgenijas Schachtel.
    »Sind Sie verrückt?« Jewgenija sprang auf, Borodin klackte mit dem Feuerzeug, setzte die Zigarette in Brand, nahm einen Zug und musste husten.
    »Wir beide sehen uns nicht so oft, dass Sie gleich meine schlechten Gewohnheiten übernehmen müssen.« Sie wurde rot und wandte sich ab.
    »Sie haben recht. Schmeckt scheußlich.« Er drückte die Zigarette aus, sah zur Uhr und lief erneut in den Flur, zum Telefon. Wieder lauschte er nur dem Amtszeichen.
    »Wen rufen Sie da eigentlich dauernd an, Ilja?«, fragte
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