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Das Haus am Abgrund

Das Haus am Abgrund

Titel: Das Haus am Abgrund
Autoren: Susanne Gerdom
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sagt sie. Sie hebt die Hand, will meine Hand ergreifen, aber zwischen uns wächst eine dunkle Wolke aus dem Knochenhaufen auf dem Boden. Auch aus den Wänden dringt schwerer, ölig wirkender schwarzer Dunst.
    »En garde«, höre ich Jeannie rufen. Im Augenwinkel sehe ich, wie sie ihren Bidenhänder hebt und gegen die Wolke richtet. November ist inzwischen vollkommen dahinter verschwunden. Ich mache es Jeannie nach und hebe mein Schwert.
    Die Wolke zieht sich zusammen und formt einen schlanken, dunkelhaarigen Mann, der sich wie ein Tänzer bewegt, geschmeidig, glatt, schlangenhaft. Er sieht November und streckt die Hand nach ihr aus.
    Jeannie lässt ihre Kaugummiblase platzen und rammt ihm den Bidenhänder mit einem Triumphschrei in die Brust. Sie wirft ihr ganzes Gewicht gegen den Knauf des Schwertes, bis seine Spitze in seinem Rücken wieder hervorkommt.
    Der dunkle Mann schüttelt sich kurz und ärgerlich. Er packt das Schwert und reißt es sich aus dem Leib. Kein Blut. Keine erkennbare Verletzung. Es ist, als wäre er aus Stein oder Lehm, nicht aus Fleisch und Blut.
    J eannie spuckt ihren Kaugummi aus. »Mist«, sagt sie. Und dann sagt sie nichts mehr, weil der dunkle Gott das Schwert umdreht und ihr damit den Kopf abschlägt.
    Ich sehe starr vor Entsetzen, wie Jeannies Kopf über den Boden hüpft und am Fuß des Thrones liegen bleibt. Ihre Augen sind offen und sehen mich an. Sie blinzelt, flüstert noch einmal: »So ein Mist«, und verstummt. Ihr kopfloser Körper fällt in Zeitlupe um.
    Ich schüttle mich und hebe mein Schwert. Der Dunkle dreht sich zu mir um und lächelt.
    »Sieh an, der junge Adrian«, sagt Cenn Crúach. »Es ist sehr zuvorkommend von dir, dass du dich mir auch in diesem Leben wieder als Vorspeise servierst.«
    Ich höre mich knurren, springe vor und ramme ihm mein Schwert in die Brust. Oder zumindest versuche ich es, aber er hebt immer noch lächelnd die Hand und fängt die Schneide damit auf. Sie dringt tief in sein Fleisch, eigentlich müssten seine Finger jetzt abfallen, aber ich kann nicht erkennen, dass er blutet oder Schmerzen empfindet. Er schließt die Hand fest um die Schneide und drückt das Schwert von sich weg. Ich muss der Bewegung folgen, wenn ich nicht loslassen will, und taumele beiseite. Dann streift mich seine Hand, leicht, wie der Flügel einer Taube, und saugt alle Kraft aus mir heraus. Ich gehe zu Boden, liege da, ringe nach Luft. Einen Moment lang bin ich so hilflos wie ein Säugling.
    Jetzt könnte er mich töten, aber er lässt mit einem Zungenschnalzen von mir ab und wendet sich November zu, die wie erstarrt dasteht und dem Geschehen zusieht. »Lauf weg«, krächze ich. Dabei weiß ich so gut wie sie, dass sie das gar nicht kann. H ier ist der Ort und die Stunde, an der sich das Schicksal erfüllt. Immer wieder.
    Ich stemme mich auf die Ellbogen, rolle herum. Immer noch stockt mir der Atem. Ich sehe, wie Cenn Crúach auf den Thron zeigt. »Dort ist dein Platz, meine Braut«, sagt er mit sanfter Stimme.
    November senkt den Kopf. Sie beißt sich auf die Lippe. Sie gehorcht.
    »Nein!« Ich komme wieder auf die Füße, stolpere beinahe über Jeannies Rumpf. Die Rüstung scheppert laut. »Verdammt, lass die Finger von ihr!« Ich senke den Kopf und renne wie ein Stier gegen Cenn Crúachs Rücken. Er lacht. Nimmt mich in den Schwitzkasten und würgt mich. Ich sehe Sterne. So schlank er auch aussieht, er ist stark, viel stärker als ein Mensch. Ich zapple wie ein Kaninchen in der Schlinge.
    November schreit irgendetwas, was ich durch das Rauschen in meinen Ohren nicht hören kann. Schlieren lassen meinen Blick verschwimmen, aber ich sehe den weißen Schemen, der sich aus seiner Erstarrung löst und auf Cenn Crúach stürzt. Er wehrt sie ab wie eine lästige Fliege und lacht dabei.
    Und dann verstummt das Lachen. Er hört auf, mich zu würgen, lässt mich los. Steht starr und dreht den Kopf von einer auf die andere Seite.
    Ich liege zu seinen Füßen, reibe mir den Hals, ringe nach Luft und folge seinen Blicken. November. Und November. Sie stehen Seite an Seite da und starren ihn wütend an. Entschlossen. Vollkommen identisch.
    »Was ...?«, sagte er. Er klingt verblüfft, beinahe furchtsam.
    »Komm und hole mich«, sagt die eine November. »Du hast e inen Vertrag, Cenn Crúach. Du hast das Recht, dir deine Novemberbraut zu holen. Bitte. Greif zu.«
    Er macht einen zögernden Schritt auf sie zu. Stöhnt wie unter Schmerzen. Hält inne, denn die andere beginnt zu sprechen:
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