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Das Haus am Abgrund

Das Haus am Abgrund

Titel: Das Haus am Abgrund
Autoren: Susanne Gerdom
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Besucher einrichtet. Das Cottage ist recht groß für uns drei, aber das ist gut. Daddo – ah, er hasst es, wenn ich ihn so nenne – , also Toby, braucht seine Ruhe, wenn er schreibt. Oder wenn er »Erica Mooreland ist«, wie Jonathan zu sagen pflegt, obwohl das Toby immer richtig zur Weißglut bringt. Er hasst es, wenn Jonathan ihn damit aufzieht. Dabei sind die Krimis, die er schreibt, richtig gut und verkaufen sich wie blöd. Was man von seinen Gedichten und Theaterstücken und von seinen schrecklich traurigen und komplizierten Romanen nicht wirklich sagen kann. Genau genommen kauft sein Verlag ihm die nur deswegen ab, weil »Erica Mooreland« sonst anderswo ihre Krimis verlegen lassen würde. Und das möchten Henford & Sons nicht, oh nein! Da nehmen sie lieber in Kauf, dass »Sing, Trauerschwan; stirb, Trauerschwan« von Tobias Smollett wie Blei in den Regalen der Buchhandlungen liegt.
    Okay, ich bin gemein, ich weiß.
    Aber Tobys »richtige« Bücher sind nun mal schwer zu lesen und lange nicht so unterhaltsam wie Ericas Krimis – aber wir glauben natürlich alle drei fest daran, dass sie einmal im ganzen Land in den Schulen durchgenommen werden. Später. Viel, viel später.
    Ich habe eine Stunde oder länger unter meiner Kiefer verbracht, dem Rauschen der Wellen zugehört und versucht, mir die Farben des Wassers zu merken. Ich sollte aquarellieren, das bringt das Licht viel besser heraus als meine Acrylfarben. Meine Kopfschmerzen haben sich nicht sehr gebessert, aber ich kann gleich e ine Tablette nehmen, die vertreiben den Schmerzaffen auf meiner Schulter für eine Weile.
    Der Roshi hat neben mir gesessen, seine kurzen Beine in den neongrünen Converse Chucks ausgestreckt, die Hände in den Ärmeln seiner Robe versenkt. Er hat schmale Augen und einen fisseligen weißen Bart, und sein Gesicht ist so runzlig, dass man es kaum glauben kann. Ich habe ihn mal gefragt, wie alt er ist, aber er hat gelächelt, den Kopf gewiegt (das kann er sehr gut, den Kopf wiegen) und geantwortet: »Êdorian, wenn du die Schildkröte triffst, die einst die Welt auf ihrem Rücken trug, dann grüße sie von mir: Sie ist meine Tante.«
    Das war wieder so eine Antwort. Echt. Manchmal geht der Roshi mir auf die Nerven.
    Dabei ist er einer von den Guten.
    Habe ich schon davon erzählt, wie ich meinen Facebook-Account gelöscht habe? Das ist nicht so einfach, denn das Gesichterbuch mag es gar nicht, wenn man nichts mehr mit ihm zu tun haben will.
    Aber ich habe es geschafft, und es hat wehgetan, weil ich nicht so schrecklich viele, aber sehr tolle Leute auf meiner Freundesliste hatte. Es war wie in einer großen Familie, wir haben uns Guten Morgen gesagt und erzählt, welche Filme wir gesehen haben und dass die Schule wieder nervt ... bis der Joker dort auftauchte und mir den ganzen Spaß verdarb.
    Ja, ich weiß. Normalerweise hätte ich seine Freundschaftsanfrage einfach ablehnen können, und tschüs, das war’s. Jokerfreie Zone.
    Aber nicht mit dem Narren, schlauer als Facebook. Er war da, j eden Morgen, und hat mich mit seinem fiesen Grinsen begrüßt, mit seinen stechenden roten Augen, mit seinen Bemerkungen, die so böse sind, dass ich schreien und gegen den Monitor treten könnte. »Hallo Adrian, du Versager. Wieso lebst du noch?« – »Was macht dein Affe, Adrian?« – »Und, hat die alte Runzelfresse wieder einen seiner Sprüche für dich generiert?«
    Ich war es so leid. So leid.
    Aber nun ist es so oder so vorbei mit dem Internet.
    Toby meinte, es wäre besser, wenn sein Sohn möglichst wenig Strahlung abbekommt (er hat gerade mal wieder seine »grüne« Phase), und hat darauf verzichtet, im Cottage ein Drahtlos-Netzwerk einzurichten. Das heißt, wenn ich ins Netz will, muss ich ihn von seinem Computer vertreiben oder bitte-bitte bei Jonathan machen. Vergiss es.
    Mein Handy hat er auch gleich eingesammelt, damit ich mir mit der Strahlung nicht das Gehirn grille. Mann, hab ich gelacht! Mein Gehirn ist doch sowieso reif für die Tonne, was kann da schon noch schlimmer werden? Der Tumor ist da, und er wächst und gedeiht wie ein gut gedüngter Kohlkopf.
    Ehrlich, das mit dem Handy war mir ziemlich egal. Seit ich nicht mehr zur Schule gehe, hat sich die Zahl der Menschen, mit denen ich kommunizieren möchte, stark reduziert. Genauer gesagt: Sie tendiert gegen null. Benny, mein bester Freund seit Sandkastenzeiten, war zum Schluss so verhaltensgestört, dass es mir körperliche Schmerzen bereitet hat, mit ihm was zu unternehmen.
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