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Das Haus am Abgrund

Das Haus am Abgrund

Titel: Das Haus am Abgrund
Autoren: Susanne Gerdom
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lächle die beiden an, werfe ihnen eine Kusshand zu und widme mich dann meinem Feind. Der rafft den letzten Rest sei n er schwindenden Kraft zusammen und hebt die ungeschlachten Fäuste. Zu lange hat er kein Blutopfer mehr bekommen. Ich kann sehen, wie die Kraft aus ihm heraussickert. Er hat einen Fehler gemacht. Er war zu gierig.
    »Du hast die falsche Braut geküsst, du verdammter Idiot«, sage ich zu ihm, schlage seine Fäuste beiseite und reiße ihm das Herz aus dem Leib. Ich hebe es hoch über meinem Kopf, lasse das Blut auf mein Gesicht tropfen. Es zuckt wie ein kleiner, verängstigter Vogel. Ich werfe es hoch in die Luft und schleudere es dann mit einem gezielten Rückhandschlag auf den Thronsitz. Einen Augenblick lang erstarrt die Szenerie, dann bricht die Hölle los.
    Das Haus stößt einen knackenden, stöhnenden Schrei aus Stein aus. Gebälk zerbirst mit lautem Knall. Ziegel und Steine fallen herab. Die Mauern wanken und stürzen. Das Haus bricht über uns zusammen.
    Ich liege mit einer der beiden Novembers halb unter, halb hinter dem Thron und warte, dass es vorbei ist. Steine und Balken donnern mit ohrenbetäubendem Lärm um uns herum zu Boden, aber sie treffen uns nicht. Wir liegen, atmen und warten. Ihre Hand berührt meine Finger. Ihre Lippen bewegen sich. »Gut gemacht«, kann ich lesen.
    Ich lächle ihr zu. In ihren Mondaugen sehe ich mein Spiegelbild. Adrian. Nicht mehr der Joker. Das beruhigt mich. Ich drücke ihre Hand und lege den Kopf auf den Boden. Entweder sind wir gleich vollkommen verschüttet oder es wird noch einen Weg hinaus geben. Es ist mir gleichgültig. Ich bin so müde ...

37
    Der Staub legte sich unendlich langsam. Immer noch polterten Steine von den eingestürzten Mauern herab, krachten Balken in sich zusammen, weil das tonnenschwere Gewicht der Schuttmassen auf ihnen lastete. Ich hustete mir die Lunge aus dem Leib. Mein Gesicht, meine Kleider – alles war voller Staub und Mörtel.
    Neben mir krabbelte November in ihrem ehemals weißen Kleid ins Freie. Sie hustete, schniefte und wischte sich mit den Fetzen ihres Schleiers übers Gesicht. »Wasser wäre gut«, sagte sie und spuckte aus.
    Ich reckte mich und überprüfte im Schnelldurchlauf, ob noch alle Knochen heil waren. Außer einigen Blutergüssen und Schrammen hatte ich den sagenhaften Einsturz des Herrenhauses aber wunderbarerweise unverletzt überlebt. »Ist alles in Ordnung mit dir?«, fragte ich November.
    Sie zerrte mit gerunzelter Stirn an dem schmutzig grauen Kleid herum. »Ich hasse diesen Fetzen«, hörte ich sie murmeln. »Aber ich kann ja schlecht in Unterwäsche ...« Sie sah auf und lächelte mich an. Ein dicker, schwarzer Streifen zierte ihre Stirn und kleinere Schmutzflecken saßen gut verteilt auf ihrem hellen G esicht. In ihren Haaren hing alles Mögliche. »Du siehst toll aus«, sagte sie. »Als hätte dich einer rückwärts durch einen Müllhaufen gezerrt.«
    »Danke gleichfalls.« Ich grinste sie an, so erleichtert, dass ich hätte singen mögen. »Wir sind raus«, sagte ich. »Cenn Crúach ist fort.« Ich musterte den riesigen Schuttberg, vor dem wir standen. »Das Haus ist hin.«
    November kam an meine Seite und betrachtete die Ruine mit zusammengekniffenen Augen. »Gute Arbeit«, sagte sie. »Ich habe Heathcote Manor nie gemocht.« Sie blickte mich an. »Das war eine eindrucksvolle Vorstellung. Wie hast du das mit den grünen Haaren hinbekommen?«
    Mir wurde ganz schlecht. »Das muss dich doch abgestoßen haben«, sagte ich. »Der Joker ist unglaublich fies und widerlich.«
    Ihre Augen blitzten. »Er war unglaublich großartig. Zack, hatte er den Bösen bei der Kehle. Zack, das Herz war draußen. Und gelacht hat er auch noch dabei. Er hat uns das Leben gerettet! Wenn ich gekonnt hätte, hätte ich ihm dabei geholfen, das Monstrum in kleine Stückchen zu zerlegen.« Sie zog die Lippen von den Zähnen wie ein knurrender Hund. Ich fand sie hinreißend.
    »Gehen wir nach Hause«, sagte ich zögernd. Es klang beinahe verrückt. Man ging doch nach so etwas nicht nach Hause, unter die Dusche und ins Bett!
    Sie drehte sich von mir weg und sah zur Klippe. »Lass uns noch einen Blick aufs Meer werfen«, bat sie. Ihre Stimme verlor jedes Lachen, jede Härte. Sie klang weich und ein bisschen verloren.
    Ich folgte ihr. Natürlich, ihr ... nein, es war doch gar nicht der Lieblingsplatz dieser November! Das war der Platz ihrer Groß t ante, die mein früheres Ich nicht mehr hatte retten können. Mir schossen Tränen
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