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Das Haus am Abgrund

Das Haus am Abgrund

Titel: Das Haus am Abgrund
Autoren: Susanne Gerdom
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will ich.« November räusperte sich und erzählte, was sie im Pilchards’ Bay gesehen hatte. Tremaine hörte ihr schweigend und mit finster zusammengezogenen Brauen zu.
    »Du willst, dass ich das so aufnehme?«, fragte er, als sie geendet hatte. November nickte.
    »Du würdest es unterschreiben?«
    »Ja«, sagte November ungeduldig. »Natürlich würde ich es unterschreiben.«
    D er Constable stand auf. »Ich bewahre dich jetzt vor einer wirklich schlimmen, bösen Lüge«, sagte er. »Du bist alt genug, um dir darüber im Klaren zu sein, was es bedeutet, ein falsches Zeugnis abzulegen. In einem oder zwei Jahren könntest du für so etwas ins Gefängnis kommen, November Vandenbourgh. Geh jetzt nach Hause. Ich vergesse, dass du hier warst.«
    »Aber«, sagte November, »aber, aber – ich lüge nicht!«
    »Wir haben glaubwürdige Zeugenaussagen, die ihn eindeutig belasten, junge Dame. Eindeutig! Geh also jetzt nach Hause«, wiederholte der Constable etwas lauter und sehr energisch. »Oder muss ich Eliette anrufen, dass sie dich abholen kommt?«
    November stand draußen vor der Wache und schnappte nach Luft. Er wollte ihr nicht glauben. Er hatte sie gefragt, ob ihre Großmutter sie geschickt hätte. Warum hatte er das getan?
    Sie rannte das kurze Stück zum Museum zurück, stellte ihren Korb in die Küche, rief: »Ich bin bei Großmutter!«, und lief wieder hinaus.
    Wieder trommelte sie laut und ungeduldig gegen eine Tür. Dieses Mal lächelte die Frau, die öffnete. »Nova«, sagte Ms Vandenbourgh herzlich und schob die Tür weit auf. »Kind, wie schön. Komm herein.«
    November wartete nicht, bis ihre Großmutter die Tür wieder hinter ihr geschlossen hatte. »Ich muss mit dir reden«, sagte sie. »Wusstest du, dass sie Adrian die Sache am Pilchards’ Bay in die Schuhe schieben wollen?«
    Die alte Ms Vandenbourgh blieb im Flur stehen und neigte den Kopf zur Seite. »Ja«, sagte sie müde. »Ich weiß. Ich habe den Constable daran gehindert, ihn zu verhaften.«
    N ovember suchte nach Worten. »Du hast ihn daran gehindert?«, fragte sie dann verblüfft.
    Ihre Großmutter seufzte und deutete zum Wohnzimmer. »Lass uns hinsetzen«, bat sie. »Mir geht es heute nicht gut. Es läuft wohl gerade jemand über mein Grab.« Sie lächelte bei diesen Worten, aber Nova schauderte.
    »Constable Tremaine sagt, dass Adrian nicht transportiert werden kann«, sagte sie, während ihre Großmutter sich in ihren Sessel sinken ließ. »Ich verstehe das alles nicht.«
    Die alte Frau schüttelte den Kopf und faltete ihre Hände auf dem Griff ihres Gehstocks. »Er ist gierig geworden«, sagte sie so leise, als spräche sie zu sich selbst. »Er fühlt sich unbesiegbar. Er will nicht bis zum Herbst warten. Er bereitet sich vor.« Ihre Stimme war nur mehr ein Flüstern. »Das Dorf tanzt nach seiner Pfeife, ohne es zu wissen. Er lenkt sie wie Marionetten.« Sie schloss die Augen und legte den Kopf an die Lehne. »Es kostet mich das letzte bisschen Kraft, mich gegen ihn zu wehren«, fuhr sie fort. »Du bist in großer Gefahr! November, ich bitte dich: Geh an deine Schule zurück. Jetzt. Ich befehle Eliette, dich zu fahren. Verlass das Dorf, ehe er dich auch noch holt.«
    Nova krampfte die Hände im Schoß zusammen. »Von wem redest du?«, fragte sie. Eine riesige, dunkle Wolke schien sich über das Zimmer zu legen und drohte sie zu ersticken und zu erdrücken. Sie wimmerte und legte hastig die Hand vor die Lippen.
    Ihre Großmutter sah klein und geschrumpft aus, grau und uralt. »Er ist hier«, flüsterte sie. »November, du musst fliehen. Lauf um dein Leben, mein Herz, mein Alles. Lauf.« Ihre Hand bewegte sich zitternd auf November zu. Nova wollte danach greifen, doch ihre Großmutter sackte in den Sessel zurück, sie r öchelte. Ihre Augen wurden glasig. Ihre Hände fuhren in die Luft, als wehrte sie sich gegen etwas oder jemanden, der sie zu erwürgen versuchte. Ein nebelfeiner, dunkler Schatten zog sich um sie zusammen.
    »Lauf«, krächzte ihre Großmutter. »Lau…« Sie griff mit beiden Händen nach ihrer Brust. Ihre Augen verdrehten sich, sie sank zusammen.
    »Großmutter«, schrie November. Zwischen ihr und der alten Frau schien ein feiner, dunkler, eiskalter Nebel zu liegen. Sie hörte eine Stimme in ihrem Kopf, fern, hallend und dumpf zugleich. Geh nach Hause, Winterkind. Geh. Ich warte auf dich.
    Sie fand sich auf der Straße wieder und wusste nicht, wie sie dorthin gekommen war. Der Befehl war so zwingend, dass sie wie von
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