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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens
Autoren: Norbert Gstrein
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in der Halle des Reichshofs eine geschlagene Stunde auf ein Interview mit einer Regisseurin vom Schauspielhaus gewartet hatte, bevor sie überstürzt hereinkam und mich mit einer Handbewegung wegscheuchte, die ich nie mehr vergessen werde, und er versuchte, mir darüber hinwegzuhelfen, als er mich in den zwielichtigen Kreis aufnahm.
    »Du willst doch dein Leben nicht mit solchen Lappalien vergeuden«, begann er, nachdem ich ihm davon erzählt hatte. »Wenn du genau hinschaust, ist alles nur eine Frage der Behauptung.«
    Was er dann sagte, meinte er, wenn schon nicht als Ritterschlag, so zumindest als eine Art Freispruch, aber dem Ton nach hätte es genauso gut eine Verdammung sein können.
    »Für mich bist du ein Schriftsteller.«
    Dabei beließ er es, und gerade weil es da an der Zeit gewesen wäre, wagte ich nicht auszusprechen, daß ich mich nach unseren Treffen zu Hause oft hinsetzte und aufschrieb, was er erzählt hatte, ohne daß ich heute sagen kann, ich erwartete mir von meinen einmal zu forschen, einmal zu zaghaften Versuchen allzu viel. Für mich war nichts brauchbar, und ich würde lügen, wenn ich behaupten wollte, ich hätte ihn nur an mich herangelassen, weil er so verzweifelt wirkte und mir aufging, was auch immer er tun würde, am Ende müßte auch für mich etwas abfallen. Denn obwohl er mir manchmal wie ein Spieler erschien, der noch nicht zum Zug gekommen war oder eine Pechsträhne gehabt hatte und bei der ersten Gelegenheit seinen Einsatz so lange verdoppeln würde, bis nicht das Geringste von ihm übrig blieb, brauchte ich zu Beginn unserer Bekanntschaft nur meine Notizen durchzulesen, um einzusehen, daß sich daraus einzig und allein ein Melodrama machen ließe und sonst nichts.
    Bei einer Reise nach London, jedenfalls, hatte er vor sechs Monaten Helena wieder getroffen, und allein wie er sagte, daß das kein Zufall gewesen sein konnte, machte mir nur ein weiteres Mal klar, welche Art von Geschichte er sich wünschte. Es erschreckte mich, wie nötig er solche Hirngespinste hatte, es war eine regelrechte Elegie für sie, als wüßte er nicht, daß man überall auf der Welt entlang der ausgetretenen Pfade früher oder später jemandem in die Arme liefe, den man kannte, ohne daß einen das so sehr aus der Bahn werfen müßte wie ihn. Er hätte sich nur selbst zuhören sollen, um mein Kopfschütteln zu verstehen, meine Verwunderung über seine Bemerkung, zuerst habe er sie gar nicht erkannt, habe nicht reagiert, als sie in der Paddington Station vor ihm stehen geblieben sei, eine junge Frau, die in einem fort seinen Namen wiederholte, habe sie angestarrt und erst glauben können, daß sie es war, als sie sich in einem Lokal in der Nähe gegenübersaßen, über den Tisch hinweg an den Händen hielten, einander in die Augen schauten und die ersten gemeinsamen Erinnerungen zusammenzubuchstabieren begannen.
    Wahrscheinlich war ich neidisch, aber ich mochte die Anbetung nicht, sein Schwärmen, wie schön sie war, mochte nicht sehen, wie er die Augen schloß, sobald er damit anfing, nicht in sein Glück hineingezogen werden, in diese Kinderei, mochte nicht mitspielen, ihn anstarren und mir vorstellen müssen, was sie gesagt haben könnte.
    »Fünfzehn Jahre, Paul, kaum zu fassen.«
    Das war eine Möglichkeit, unverbindliche Sätze, um die erste Verlegenheit zu überbrücken, das erste Schweigen, während dem sie ihn vielleicht schon zu mustern begann.
    »Was hast du die ganze Zeit getan?«
    Ich weiß nicht, ob er zögerte, ob er den Film kannte, in dem der Held auf die gleiche Frage nur erwiderte, er sei früh schlafen gegangen, und man vermochte sich aufgrund dessen sein ganzes Leben auszumalen, aber ich nehme an, daß er weniger poetisch war.
    »Ich habe auf dich gewartet.«
    Die Reaktion konnte nicht ausbleiben.
    »Was redest du da?«
    Die Abfolge der Städte, in denen sie sich in den Wochen danach trafen, nahm sich aus wie ein Europaprogramm für amerikanische Touristen, und mir kam es vor, als könnte er nicht genug Trophäen sammeln, als hätte er Kilometer um Kilometer zurücklegen wollen, um endlich an den Anfang zu gelangen, von dem er nicht aufhörte zu glauben, er habe ihn mit ihr versäumt. Zu jeder Station hatte er eine Episode parat, aber darum ging es gar nicht, wichtiger war die Aufzählung, an all den Plätzen gewesen zu sein, als wäre allein der Aufwand, den sie trieben, ein Beweis ihrer Liebe, allein der Klang der Namen, der Klimbim, der sie umgab, und doch war es immer zu spät,
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