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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens
Autoren: Norbert Gstrein
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ihnen vorbeieilten, und ich hatte Zeit, sie zu beobachten. Es war nicht zu erkennen, ob sie sich stritten, doch sie schienen nicht miteinander zu sprechen, und ihre Haltung wirkte abweisend auf mich, er schaute auf die Uhr, und sie verlagerte ständig ihr Gewicht von einem Bein auf das andere, bis sie ein paar Schritte davonlief und er sie zurückholte und auf sie einredete. Mehr als ein Aufbrausen war es nicht, aber ich starrte hin und hatte Angst, ich könnte zu lange gezögert haben, mich wieder abzuwenden, und von ihnen dabei bemerkt worden sein, als sie sich näherten.
    Damit mochte es zusammenhängen, daß sie mir den ganzen Abend nervös erschien und kaum etwas sagte, während er noch redseliger war, als ich ihn kannte, ständig das Thema wechselte und tatsächlich vom Hundertsten ins Tausendste geriet. Er ließ sie nicht zu Wort kommen, die paar Fragen, die ich an sie richtete, beantwortete er, und als ihr Telephon klingelte und sie in der Tasche danach zu kramen begann, warf er ihr nur einen Blick zu, und sie schaltete es aus. Die ein oder zwei Mal, die sie mich ansprach, siezte sie mich, und weil er von Anfang an viel direkter gewesen war, kam das für mich so unerwartet, daß ich aufschrak, sie ansah und seine Anwesenheit augenblicklich vergaß, mich zurückhalten mußte, nicht dem Impuls zu folgen und nach ihrer Hand zu fassen.
    Ich weiß nicht, ob in ihrer Stimme Spott war, oder sie langweilte sich, auf jeden Fall zog sie Wort für Wort in die Länge und hatte offensichtlich ihren Genuß daran.
    »Sie sind also Pauls Freund?«
    Es klang schülerhaft, wie ich ja sagte, aber ich hätte genauso gut nein sagen können, so wenig achtete sie darauf.
    »Dann müssen Sie von ihm alles über mich wissen«, fuhr sie fort. »Ich hoffe, es ist nicht nur Unsinn, was er Ihnen erzählt.«
    Er hatte nie etwas davon erwähnt, daß er sie in unsere Gespräche einweihte, und ich war überrumpelt, lachte verlegen und sah ihn an, bis sie es von neuem versuchte.
    »Bin ich so, wie Sie es sich vorgestellt haben?«
    Ich kam nicht dazu, ihr zu antworten, weil Paul sie barsch unterbrach, mich mit ihrem Kokettieren in Frieden zu lassen, und dann zusah, daß sie sich nicht mehr an mich wandte. Es wurde ein unerquicklicher Abend, weil er gereizt war und weil ich tatsächlich zu viel über sie wußte und mich daran stieß, daß sie mir als Protagonistin einer Erzählung entgegentrat, die ich nicht steuern konnte. Zumindest störte es mich, daß er ihr vorgeworfen hatte, sie versuche, allen zu gefallen, sie habe sich, kaum mit ihm allein, jedesmal erkundigt, wie sie war, wenn sie ein paar Stunden in Gesellschaft verbracht hatten, habe seine Vorschläge, dies oder das zu tun, immer mit dem gleichen schön quittiert, auch schön , in ihrer unschuldigsten Stimme, und voraussehbar gefragt, ist sie jung, ist sie hübsch, ist sie klug, in dieser Reihenfolge, sooft er von einer anderen Frau gesprochen hatte. Das alles wollte ich nicht wissen, wollte ich nicht ausgerechnet von ihm gehört haben, noch wie sie nach dem Duschen ein Handtuch turbanartig um ihr nasses Haar schlang und nackt durch die Wohnung spazierte, wie sie ihre Handrücken eincremte, traumwandlerisch entrückt, und ihre Mundbewegungen dabei die einer konzentriert Schreibenden waren, wie sie auf dem Bauch einschlief, ein Bein gestreckt, das andere abgewinkelt, und auf dem Rücken liegend wach wurde, die Arme über dem Kopf verschränkt, als wäre ihr Vertrauen in die Welt ungebrochen, und es könnte ihr nichts geschehen. Vielleicht hatte sie einmal zu ihm gesagt, du kannst alles mit mir machen, wie er mir nicht vorenthalten hatte, aber wenn ich sie ansah in ihrem weißen Kleid, wünschte ich mir, er wäre ein Hochstapler, hätte sich das nur ausgedacht, um mich auf eine verquere Weise zu beeindrucken, und bekam gleichzeitig den Satz nicht aus dem Kopf, den ich irgendwo gehört hatte, das Bonmot, man solle nur nicht den Fehler machen und Kinder mit Engeln verwechseln.
    Sein Umgang mit ihr war auf eine Weise ironisch, daß ich ihn am liebsten gepackt und gerüttelt hätte, ihm gesagt, er habe es mit einem Menschen zu tun und nicht mit einer Figur in einem Spiel. Wenn er zum wiederholten Mal mit ihr anstieß oder ihr Feuer gab, wirkte es auf mich wie ein Zitat, als wollte er damit zeigen, daß er wußte, er verhielt sich nicht anders als irgendein Narr, funktionierte, wie er funktionieren mußte, sobald er ihr dann in die Jacke helfen würde, die Tür öffnen und sie nach Hause
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