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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens
Autoren: Norbert Gstrein
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begleiten. Es irritierte mich, daß sie sich so behandeln ließ, und immer wenn mein Blick zwischen ihnen hin- und herschweifte und ich keine Reaktion bei ihr bemerkte, fragte ich mich, ob er sich nicht auch auf meine Kosten unterhielt.
    Am Ende blieb nicht viel von diesem Abend, ihre wasserhellen Augen, das glatte, schwarze Haar, das sie von Zeit zu Zeit aus der Stirn strich, ein glucksendes Lachen, und wie sie sich von mir verabschiedete, ihre Stimme vor Überschwang hell.
    »Ich hoffe, ich sehe Sie wieder.«
    Sie waren aufgestanden, und ich ärgerte mich, als ich sah, daß Paul nickte. Er hatte ihr eine Hand auf die Schulter, die andere um die Hüfte gelegt und dirigierte sie Richtung Ausgang, als sie sich noch einmal nach mir umdrehte, wie wenn sie unschlüssig wäre, ob sie nicht noch etwas hinzufügen sollte. Ich bildete es mir sicher ein, aber bevor er sie dann endgültig mit sich fortzog, schien für einen winzigen Moment ein flehender Ausdruck in ihrem Blick zu liegen.
    »Ich komme schon«, sagte sie. »Ich komme schon.« Dann war sie kaum noch zu hören.
    »Warum drängst du denn so?«
    Es gab jetzt keinen Zweifel mehr, draußen stritten sie, und ich schaute ihnen nach, wie sie sich entfernten und sie dabei mit steifen Schultern neben ihm herging, während er gestikulierend auf sie einsprach. Längst hatte es aufgehört zu regnen, der Asphalt, soweit ich sah, begann gerade zu trocknen, und in der Dämmerung wirkte es, als würden einzelne Bilder fehlen, in dem Film, der vor mir ablief, schienen ihre Umrisse doch einen Augenblick zu stehen und waren dann ein Stück weitergerückt, faßte er einmal nach ihrem Arm und hatte ihn schon wieder losgelassen. Es war nicht mehr lange bis zur Tag- und Nachtgleiche, und ich konnte mich nicht gegen einen Anfall von Melancholie wehren, wenn ich daran dachte, wie sie sich wieder versöhnen würden und dann über mich sprechen oder auch nicht, und es wäre ihr Leben, zu dem ich keinen Zugang hatte. Außer mir waren im Lokal keine Gäste, ich brauchte gar nicht hinzublicken und wußte, daß die Kellnerin hinter der Theke mich beobachtete, aber wenn ich hinausginge, würde es riechen, wie es nach Erschaffung der Welt gerochen haben mußte, nach Frühling und nach Meer, und ich wäre ihnen am liebsten gefolgt, hinter ihren Schatten hergelaufen, bis ich sie eingeholt hätte und schwer atmend vor ihnen gestanden wäre, ohne zu wissen, was ich wollte.
    Ich habe weder sie noch ihn jemals auf ihren Streit angesprochen, schon gar nicht das nächste Mal, wo ich ihn sah, zwei oder drei Tage später, als Berichte vom Tod Allmayers in allen Zeitungen standen und er aufgeregt in das Café in Ottensen kam, einen ganzen Stapel vor mich auf den Tisch legte, darin herumsuchte und auf ein Photo von ihm deutete. Worauf er hinauswollte, wußte ich zuerst nicht, aber ich schaute pflichtschuldig das Bild an, das ich schon kannte, eine Aufnahme, die ein lachendes Gesicht zeigte, halb in der Sonne, halb im Schatten, einen Schnappschuß, der natürlich nichts von einem Schicksal verriet und den ich trotzdem daraufhin abzusuchen begann, den ich ansah, als wäre eine ganze Geschichte darin eingeschrieben, während er mich nicht aus den Augen ließ. Er setzte mehrmals dazu an, etwas zu sagen, schwieg dann aber doch, und als er schließlich eine Hand auf das Blatt legte und den Kopf vollständig abdeckte, blickte er an mir vorbei und wiederholte nur ein und denselben Satz.
    »Sieh dir das an«, begann er stets von neuem, und er wurde von Mal zu Mal lauter in seiner Erregung. »Sieh dir das an, bitte, sieh dir das an.«
    Auf der ganzen Seite sprangen mich einzelne Wörter regelrecht an, Ausdrücke, die eher an den Anfang als an das Ende des Jahrhunderts gehörten, und während ich mir zwischen seinen Fingern ein weiteres Mal die Überschrift zusammenbuchstabierte, Balkanexperte im Kosovo ermordet , und nicht sicher war, ob ich auch Kriegsberichterstatter gelesen hatte, wollte er nicht und nicht aufhören.
    »Sieh dir das an.«
    Er hatte recht, es mußte einem elend werden, wenn man sich vorzustellen versuchte, auf welche Weise es passiert war, Schüsse aus einem Hinterhalt, aber ich wußte nicht, warum er sich nicht beruhigen konnte, bis er endlich damit herausrückte.
    »Er ist mein Freund gewesen«, sagte er auf einmal ganz leise. »Ich habe kurz davor noch mit ihm telephoniert.«
    Es war drei Tage nach Beginn des Einmarsches von internationalen Truppen in die serbische Provinz, alle sprachen über
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