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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens
Autoren: Norbert Gstrein
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das Unglück, und da stand er, umklammerte seine Schultern, sog den Atem laut ein, stieß ihn gedrosselt aus und brüstete sich, Allmayer nahe gewesen zu sein, was ich ihm zuerst nicht recht glaubte.
    »Dein Freund?«
    Es mußte ironischer klingen, als ich wollte.
    »Wir haben uns gut gekannt«, korrigierte er sich. »Meinst du, ich will mich an ihn heranschmeißen, nur weil er tot ist?«
    Er schien Wert auf die Unterscheidung zu legen.
    »Was heißt schon Freund?«
    Dann erzählte er, daß alles eine Weile zurücklag und er ihn während seines Studiums in Innsbruck etwa ein Jahr lang immer wieder getroffen hatte und danach, bevor er nach Hamburg gekommen war, nur mehr ein paar Mal, und ich dachte, noch ein Wiedersehen nach so langer Zeit, noch eine Geschichte, die ihr Gewicht daraus bezog, und hätte ihn am liebsten gefragt, ob er darauf spezialisiert war, aber er ließ mich gar nicht zu Wort kommen.
    »Er stammt aus der gleichen Gegend wie ich«, sagte er. »Wahrscheinlich sind es über die Berge keine zwanzig Kilometer von einem Ort zum anderen.«
    Ohne Übergang kam er im nächsten Augenblick auf sein letztes Telephonat mit ihm zurück, und ich beobachtete ihn, wie er dabei mit der einen Hand an den Fingern der anderen zog, bis die Gelenke knackten. Offenbar hatte er sich mit ihm verabreden wollen und ihn zufällig in Skopje erreicht, angerufen, kurz bevor sich der dort in einer Hotelhalle versammelte Journalistentroß an der makedonischen Grenze zum Kosovo dem vorrückenden Militärzug anschloß, und ich war froh, daß er sich nicht wichtig zu machen versuchte, seine Äußerungen nicht mit seinem späteren Wissen von dem Unglück vermischte. Tatsächlich erinnerte er sich kaum noch, was er mit ihm gesprochen hatte, lauter Banalitäten, wie er selbst meinte, und ich merkte, es plagte ihn, daß er nicht mehr von ihm zu sagen vermochte, als daß er über Langeweile geklagt hatte, über die Ödnis, die sich unter seinen Kollegen beim Warten unmittelbar vor dem Aufbruch ausgebreitet haben mußte, die Nervosität in dem verrauchten Raum, in dem an allen Tischen Karten gespielt wurde und die Wetten sich halbstündlich übertrafen, wann es endlich losginge. Es rührte mich, zu hören, daß er ihm vorgeschlagen hatte, zusammen einen Tag an die Ostsee zu fahren, keine Rede von bedeutungsschwangeren Gesprächen, die dem bevorstehenden Ende seinen perversen Sinn verleihen sollten, nichts von dunklen Ahnungen, drohenden Gefahren oder gar der Angst, nicht mehr zurückzukommen.
    Die einzige Sentimentalität, die er sich mir gegenüber erlaubte, war, daß er nicht von der Behauptung abging, Allmayer habe nach dieser Reise aufhören, sich nicht mehr rund um die Welt in alle möglichen Kriegsgebiete schicken lassen wollen wie in den vergangenen Jahren und darauf hingearbeitet, etwas Ruhigeres in seiner Redaktion zu ergattern oder sich eine Zeitlang überhaupt ganz anderen Dingen zu widmen.
    »Allem Anschein nach hatte er die Schnauze voll«, sagte er mit einer Derbheit, die ich sonst nicht von ihm gewohnt war. »Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er schon lange nichts mehr damit zu tun gehabt.«
    Das war mir zu billig, als daß ich es einfach hingenommen hätte, ausgerechnet bei seinem allerletzten Einsatz zu sterben, zu sehr nach der Dramaturgie des Schlimmstmöglichen aufgebaut, die einem zu Herzen gehen soll, und ich versuchte, ihm das zu erklären.
    »Vielleicht wird man auch süchtig danach und kann nicht jahrelang die größten Sauereien sehen und dann wieder in sein altes Leben zurückkehren, als wäre nie etwas geschehen.«
    Dabei hatte ich selbst kaum mehr darauf geachtet, wenn in den Zeitungen Tag für Tag die Angriffsziele in Serbien aufgezählt wurden, seit zweieinhalb Monate davor die Bombardements begonnen hatten, und war kaum noch von Berichten über Massaker im ganzen Kosovo zu erschüttern gewesen, wie ich mir sagen muß, hatte mich von ihrer Wiederholung nicht beeindrucken lassen. Es mag makaber klingen, doch sobald in Belgrad ein öffentliches Gebäude oder in Novi Sad eine Brücke getroffen worden war oder irgendwo anders eine Fabrik oder eine Raffinerie und dann Dörfer rund um Priština genannt wurden oder im Westen der Region, an der Grenze zu Montenegro, und die Anzahl der dort in ihren Häusern oder auf der Flucht von Sondereinheiten der Regierung abgeschlachteten Leute, mußte ich mich dagegen wehren, darin nicht nur ein schreckliches Spiel mit einer noch viel schrecklicheren Punktewertung zu sehen.
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