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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens
Autoren: Norbert Gstrein
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ihm, die mir zeigen würde, wie sehr ich danebengegriffen hatte.
    »Hast du wirklich Plot gesagt?«
    Ich fühlte mich ertappt und schwieg.
    »Wenn ich dich Plot sagen höre, kommt es mir vor, als würdest du von einem Brocken sprechen, der dir im Hals stecken geblieben ist und dich würgt.«
    Ich hatte ihm nach wie vor nichts von den Notizen erzählt, an die ich mich setzte, sobald ich allein war, und hätte ihn am liebsten darauf hingewiesen, wie wenig man in der Hand hatte mit der Behauptung, etwas sei nach einer wahren Geschichte konstruiert, oder noch schlimmer, das Leben selbst habe es geschrieben, was auch immer das bedeuten mochte, aber die Aussage, zu der ich mich statt dessen hinreißen ließ, war eine von den Banalitäten, auf die man im ersten Augenblick stolz ist, die einen später dafür so lange verfolgen, bis man den Wunsch hat, sie nie von sich gegeben zu haben.
    »Ein Toter macht noch keinen Roman.«
    Zum Glück schüttelte er nur müde den Kopf und ging nicht auf mich ein. Überhaupt hatte er plötzlich allem Anschein nach kein Interesse mehr, darüber zu reden, und er begann von neuem, die Zeitungen durchzublättern, schien die Seiten absichtlich laut umzuschlagen und bemühte sich, mich nicht ansehen zu müssen, warf mir höchstens über den Rand hinweg dann und wann einen Blick zu. Die Kommentare, die er sonst immer abgab, wenn er las, blieben aus, aber bevor er aufstand und sich verabschiedete, glaubte ich dieses Lächeln in seinem Gesicht zu entdecken, das wohl Überlegenheit signalisieren sollte, ein kaum merkliches Heben der Mundwinkel, das ihm stets unterlief, wenn ich nur die geringsten Bedenken gegen sein Vorhaben äußerte.
    Auf jeden Fall war er so besessen davon, etwas aus der Geschichte machen zu wollen, daß nun auch Helenas Familie eine Rolle spielte, und wenngleich ich nicht mehr weiß, wann er mir zum ersten Mal gesagt hat, ihre Eltern kämen aus Kroatien, erinnere ich mich genau, daß er es fortan bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit erwähnte. Als würde sie sonst für ihn nicht existieren, konnte er auf einmal mit der größten Selbstverständlichkeit vom dalmatinischen Hinterland reden, vom Karst oder vom Velebit, und eine zwingende Kette von Ursache und Wirkung herstellen, so abstrus sie mir heute erscheint, eine unausgegorene Begründung, die ihn allein schon ihretwegen auserkor, sich mit dem Balkan zu beschäftigen. War er vorher gar nicht auf die Idee gekommen, damit etwas anzufangen, konnte er sie plötzlich allen Ernstes Jugo nennen, das Schimpfwort in eine Koseform verwandeln, und dazu hatte er sich ihren alten Paß schenken lassen, der längst ungültig war, ihre sozialistische Identität, wie er sich ausdrückte, konnte er sie als Einwandererkind bezeichnen oder von der zweiten Generation und deren Marotten sprechen, um sie zu ärgern, sooft sie sich für etwas Alltägliches begeisterte, oder es nur ins Lächerliche ziehen, wenn sie ihm irgendwann doch scharf widersprach, und über ihre Aufregung spotten, ihr seid ein Kriegsvolk, wie ich ihn nicht nur einmal daherplappern gehört habe. So harmlos das vielleicht alles gemeint war, ich ärgere mich dennoch, daß ich nicht stärker aufgetreten bin und sie in Schutz genommen habe, obwohl es wenig half, wenn ich halbherzig versuchte, ihn zu bremsen, er machte einfach unter dem Deckmantel der Ironie oder mit der Entschuldigung weiter, sie würde es schon richtig verstehen. Eigenartigerweise ließ sie ihn gewähren, und wenn ich mich nicht täusche, sah ich nur ein einziges Mal, wie sich ihre Augen verengten, wie sie aufhörte zu lachen, wie sie mitten im Gespräch innehielt und ihn mit einem Blick anschaute, vor dem er zurückschrak, und zwar als er ihre Backenknochen zwischen Daumen und Zeigefinger nahm, slawisch, slawisch sagte und mir den Kopf zuwandte, wie wenn ich ihm dafür auch noch applaudieren sollte.
    Das war absurd, und in meiner Erinnerung ist immer gegenwärtig, daß er irgendwann begonnen hatte, sie den ersten Verbindungsoffizier zu seiner Romanwirklichkeit zu nennen. Auch das war natürlich nur Unfug, allein schon die Bezeichnung, und doch wird mir zunehmend klarer, wie sehr es womöglich zutraf, wie sehr er sie am Anfang benutzte, wenn sie über ihre Herkunft sprach, über ihre ersten Jahre bei der Großmutter in der Nähe von Zadar, die Sommer am Meer, oder was sie noch aus den Erzählungen ihrer Eltern wußte. Es irritiert mich, in welchem Ausmaß er die beiden Ebenen vermischte, ihr Leben und
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