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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens
Autoren: Norbert Gstrein
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mögliche Antwort.
    »Wenn ich mich nicht täusche, gibt es keinen Reiseführer, in dem es fehlt«, soll er hinzugefügt haben. »Es hat zu den Fixpunkten bei jedem Jugoslawienaufenthalt gehört.«
    Danach schwieg er angeblich, und Paul sagte, sie lachte über seine Beflissenheit, starrte ihn an, wie sie ihn die ganze Zeit schon angestarrt hatte, und beschränkte sich auf das Notwendigste, erklärte ihm, daß es nicht weit davon entfernt war.
    »Sie ist sich sicher gewesen, daß sie nachts manchmal die Bomber gehört hat, wenn sie von Italien nach Belgrad geflogen sind«, fuhr er dann fort. »Es liegt zwar nicht genau auf der Route, aber für sie hat es nur den richtigen Wind gebraucht, um ihr Brummen von weit draußen über dem Meer hereinzutragen.«
    Er sprach lakonisch davon und erlaubte sich nicht einmal ein Kopfschütteln, als er sagte, daß er sich gewundert habe, warum Allmayer sie überhaupt in seine Kriegsgeschichten hineingezogen hatte.
    »Wenn er es nur darauf angelegt hat, sie in eine unmögliche Situation zu bringen, hätte er genauso gut etwas anderes nehmen können.«
    Doch er versteifte sich darauf, daß er zu der Zeit in Makedonien gewesen war, an der Grenze zum Kosovo, als sie nur ein paar hundert Kilometer entfernt im ehemals gleichen Land Ferien gemacht hatte. Von Anfang an habe er darüber geredet, als wäre sie an allem schuld, malte er von den zu Tausenden in einem Lager bei Blace, oder wie der Ort hieß, eintreffenden Flüchtlingen, die dort von Polizisten mit Schlagstöcken in Schach gehalten wurden, ein Bild, vor dem ihre Tage am Meer obszön wirken sollten, von den nur notdürftig versorgten, verängstigt zusammengedrängten Leuten, die sich bei jedem Schub Neuankommender nach dem Verbleib ihrer Verwandten erkundigten, die Reihen auf und ab liefen und immerfort die gleichen Namen auf den Lippen hatten. Er kam auf die Stille zu sprechen, die mitten im Lärm einsetzen konnte, wenn einer zurückwich vor dem, was er gehört hatte, und in der Menge eine Lücke entstand, auf die Schreie und das lautlose Weinen, die alle dasselbe bedeuteten, erzählte von den wie aufgezogen im Morast herumkurvenden Geländewagen der Hilfsorganisationen, unnütze Spielzeuge in der nach Kot und Urin stinkenden Brühe, von der Angst, die im Wind schlotternde Zeltstadt könnte im Regen einfach weggewaschen werden, wie er sagte, von der Bildfläche verschwinden, wenn es schneite, und habe so ein Schreckensszenario gezeichnet, das er gegen ihre untätig am Strand verbrachten Nachmittage setzte, ihre Abende in einem Tanzlokal in der Marina und ihre Fahrten nach Brač oder Šolta oder auf sonst eine Insel. Dabei war ihm kein Klischee zu viel, habe er von Elendsgestalten gesprochen, die einer Hölle entronnen und in eine andere hineingeraten seien, während sie in einer Welt lebte, in der die Zeitungen schon wieder nichts Wichtigeres zu melden hatten als den ersten Urlauber, der beim Schwimmen im eiskalten Wasser gesehen worden war, Ende März oder Anfang April, einen Deutschen natürlich, und die ganze Adria hinauf und hinunter alle vor ihren Fernsehern saßen und darauf anstießen, daß die Vettern in Belgrad endlich ihren Teil abbekamen, sich Wildfremde auf der Straße um den Hals fielen oder ihre Arme zum Siegeszeichen emporreckten, wenn sie die neuesten Nachrichten von den nächtlichen Fliegerangriffen erreichten.
    Angeblich hatte Allmayer nicht mehr aufgehört, als er einmal darauf zu sprechen gekommen war, und Paul schien Gefallen an seinen Auslassungen zu finden, erweckte dann aber wieder den Eindruck, er hätte sie am liebsten verschwiegen.
    »So viel Verständnis ich für seine Verrücktheiten auch habe, es ist schon ungeheuerlich, was er sich ihr gegenüber alles erlaubt hat.«
    Ich stimmte ihm zu.
    »Offensichtlich hat er sie so behandelt, als hätte sie ihm persönlich etwas getan«, sagte ich. »Dabei ist sie eine Unbekannte für ihn gewesen.«
    Darauf zuckte er nur mit den Schultern und erzählte dann, Allmayer sei einmal während eines Einsatzes irgendwo in Bosnien ausgerechnet an einem kroatischen Kontrollposten angehalten, eine Maschinenpistole auf sich gerichtet, ausgeraubt und ohne Auto und alles mit seinem Begleiter im Niemandsland zurückgelassen worden, sprach davon, als wäre das eine Erklärung.
    »Stell dir vor, von ein paar Betrunkenen bis auf die Haut durchsucht zu werden, die alle herumbrüllen, ohne daß du ein Wort verstehst«, sagte er. »Es muß furchtbar sein, und wenn dann einer auf dich
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