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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens
Autoren: Norbert Gstrein
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zu sprechen begann.
    »Ich weiß nicht genau, wo sie liegt«, sagte ich. »Aber wenn mich nicht alles täuscht, muß ich ganz in der Nähe vorbeigekommen sein.«
    Wie ich es erwartet hatte, biß er an.
    »Du warst im Kosovo?«
    Natürlich brauchte ich ihm darauf nichts zu erwidern. Ohne auf ein Wort von mir zu warten, hob er abwehrend die Hände und lachte laut auf, als ich zu einer Erklärung ansetzte. Dann wollte er wissen, wann das gewesen war, aber ehe ich etwas sagen konnte, besann er sich auch schon, daß nur vor dem Krieg in Frage kam.
    »Also kann man es nicht vergleichen.«
    Das stellte er erleichtert fest.
    »Früher ist das Kosovo noch nicht das Kosovo gewesen«, fuhr er nach einer Pause fort. »Es hätte genauso gut ein ganz anderes Land sein können.«
    Dann schwadronierte er über das dunkle Herz des Kontinents, vor Pathos regelrecht weinerlich, und als er mich nach meiner Freundin fragte, sprach ich davon, wie wir damals ohne Pause unterwegs gewesen waren, als wir die Küste verlassen hatten, und wie sie auf einmal still geworden war, ihre Hand auf meinem Schenkel, den Blick vor sich auf die Straße gerichtet, als hätte sie Angst. Je mehr ich ihm erzählte, um so mehr erinnerte ich mich wieder daran, wie sie sich in diese Bangigkeit hineingesteigert hatte, kaum waren wir ins Landesinnere vorgestoßen, und daß ich fuhr, als ginge es um Leben und Tod, während sich hinter uns eine Staubfahne in Zeitlupe auf die Hügel niedersenkte. Vielleicht hatten sie die am Straßenrand stehenden Leute irritiert, sagte ich mir, waren für sie der Grund, mich zu bitten, bloß weiterzufahren, sobald ich anhalten wollte, und ich versuchte, ihm die mitten in der Einöde auftauchenden Gestalten zu beschreiben, die aus dem Gebüsch treten konnten, ohne daß weitum eine menschliche Ansiedlung zu sehen war, Figuren, wie man sie sonst nur auf Bildern aus den Anfängen der Photographie fand, die gleiche Schwermut, die gleiche Art, wie zusammengerückt zu wirken, als wäre es ihnen verwehrt, mehr Platz in Anspruch zu nehmen, selbst wenn sie allein waren, der gleiche Eindruck, sie hätten gerade erst den Hut abgenommen und hielten ihn untertänig vor sich, mochten ihre Hände auch leer sein.
    Es war schwer, sich gegen derlei Gedanken zu wehren, aber gleichzeitig hatte dieser Blick etwas Unheimliches für mich, diese fast schon mystisch zu nennende Sichtweise, und ich war froh, daß er nicht weiter darauf einging und einfach wieder auf Allmayer kam. Längst war es später Vormittag geworden, und ich hätte an meinen Schreibtisch sollen, war jedoch geblieben und hörte ihm zu, wie er noch einmal alles von vorn erzählte. Die Gäste hatten gewechselt, und vor dem Café auf dem Gehsteig waren die Bänke besetzt, die Sonne schien hin, und ich hatte den Eindruck, er sprach, als hätte er sein ganzes Leben verbracht, nur um eines Tages mit mir hier sitzen und auf mich einreden zu können. Mir wurde schwindlig davon, und ich hätte ihn gern unterbrochen, hätte sein Monologisieren am liebsten abgetan wie das Brabbeln eines Kindes, so sehr gingen für mich Fiktion und Wirklichkeit durcheinander, als er auch noch anfing, er werde etwas darüber schreiben, sei sich ganz und gar sicher, es solle endgültig sein erster Roman werden.
    »Das ist meine Geschichte«, sagte er, als müßte er sie gegen mich verteidigen. »Wer sonst soll sie erzählen, wenn nicht ich?«
    Für mich klang es, als wollte er sich damit Mut machen, und obwohl es etwas Abgeschmacktes hatte, Allmayers Tod so zu betrachten, sein Unglück im Hinblick auf eine spätere Verwertbarkeit zu sehen, noch bevor er begraben war, widersprach ich nur zaghaft. Er räusperte sich, als ob ihm selbst nicht wohl damit wäre, und ich ließ ein paar Augenblicke verstreichen und beobachtete, wie draußen zwei Männer Abfall in einen stehen gebliebenen Müllwagen kippten und dabei, vom Wind aufgewirbelt, Papierfetzen und Asche auf die Bänke vor dem Café geweht wurden und die Leute dort aufsprangen und ihre Kleider abklopften. Als ich merkte, wie er meinen Blicken folgte, starrte ich ihn an, und obwohl er zustimmend nickte, ahnte ich, er hätte sich nicht gewundert, wenn mir entfallen wäre, wovon wir gerade noch gesprochen hatten.
    »Du glaubst doch nicht an das Gerede von einem Plot«, sagte ich schließlich. »Ginge es wirklich nur darum, wäre es einfach.«
    Das Lachen, das er unterdrückte, traf mich mehr, als wenn er laut losgeprustet hätte, und ich wartete auf eine Bemerkung von
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