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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens
Autoren: Norbert Gstrein
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Trotz meiner Vorliebe für wohlklingende Namen mochte ich die Leute in dem Lokal nicht, es war mir alles zu apart, sie rochen allzu sehr nach einem gelungenen Leben, als wäre das etwas so Einfaches, die Frage einer schlichten Addition, und ich erinnere mich, daß ich sie, auf ihn wartend, eingehend musterte, wie wenn ich etwas anderes zu bieten hätte, etwas Erstrebenswerteres, eine verkrachte Existenz gar, das Klischeebild eines sympathischen Versagers, und dabei einmal mehr der Einbildung erlag, selbst nicht dazuzugehören. Davor hatte ich mich in einem Antiquariat gleich um die Ecke umgesehen, aber nichts Einschlägiges gefunden, außer einem in Belgrad erschienenen Bildband über die jugoslawischen Eisenbahnen mit einem nicht mehr lesbaren Exlibris, und ich mußte lachen, als er dann einen ganzen Stapel von Büchern anschleppte, und dazu noch Allmayers Artikel, alles, was er in den vergangenen Jahren über den Balkan geschrieben hatte, seine Reportagen, die ich seither wieder und wieder gelesen habe, im Versuch, Klarheit in den Wirrwarr zu bringen, der um so größer wurde, je länger ich darin herumstocherte.
    Obwohl Paul erst am nächsten Morgen nach Österreich zum Begräbnis fahren sollte, wirkte er auf mich, als käme er gerade von dort zurück, war übernächtig, nervös, rauchte ununterbrochen und sah mich Zustimmung heischend an, wann immer er etwas sagte. Offenbar mochte er die Umgebung noch weniger als ich, und als er seine Sachen ausbreitete, achtete er darauf, daß niemand sie anschauen konnte, und erging sich in langen Erklärungen. Wenn es stimmte, was er behauptete, hatte er die ganze Nacht gelesen, und er sprach jetzt mit mir, als erwartete er sich, daß ich genauso vorbereitet war wie er, gab mir einen Band nach dem anderen in die Hand und ließ mich nicht aus den Augen, während ich pflichtschuldig darin herumblätterte, bevor ich ihn weglegte.
    Dabei erinnere ich mich noch genau, es waren Werke darunter, die ich mir später von ihm ausgeliehen habe, Black Lamb and Grey Falcon , Rebecca Wests Aufzeichnungen von ihren Fahrten auf dem Balkan in den dreißiger Jahren mit der Widmung To my friends in Yugoslavia, who are now all dead or enslaved und dem angesichts der jüngsten Ereignisse geradezu makaber wirkenden Zusatz Grant to them the Fatherland of their desire, and make them again citizens of Paradise , eine Geschichte Kroatiens, auf deren Umschlag das brennende Dubrovnik in eine schwarze Rauchwolke gehüllt war, ein Heft des National Geographic vom August 1990 sowie die beiden korrespondierenden Titel Conversations with Stalin und How we survived Communism and even laughed. Ich wunderte mich, wie er sie so schnell hatte auftreiben können, zudem in den jeweils englischen Ausgaben, und weiß noch, wie er auf meine Fragen ausweichend antwortete, zuerst etwas von einem Institut für Slawistik zusammenphantasierte, von dem er sich dann nicht einmal sicher war, ob es in Hamburg überhaupt existierte, schließlich aber umschwenkte, er habe sie in einer Buchhandlung gefunden, irgendwo am Grindel, die ich zu meinem Erstaunen nicht kannte und wenige Tage darauf auch vergeblich gesucht habe, weil es sie wahrscheinlich ganz einfach nicht gab. Es war eine lächerliche Versteckspielerei, von der mir lange nicht klar geworden ist, welchen Sinn sie haben sollte, und erst seit ich von Helena erfahren habe, daß es ihre Bücher waren, die er damals mitgebracht hat, ahne ich den Grund, stelle ich mir vor, daß es nicht zu seinem Bild von ihr paßte, zumal zu dem Bild, das er in seinem Roman zeichnen wollte, dem Bild auch, das Allmayer von ihr gehabt hatte, dem einer in den Tag hineinlebenden Person, die sich für so etwas nicht interessieren konnte, einer Frau, die aus einer ganz anderen Welt war und nichts im Kopf hatte außer den Schönheitskuren, Diätplänen und Reisen in ihren Modezeitschriften.
    Merkwürdigerweise hatte Paul Allmayers Artikel bis zuletzt zurückgehalten, und als er sie mir schließlich gab, tat er das mit einer Beiläufigkeit, die ich ihm nicht abnahm. Es waren mehrere Dutzend Blatt, ein ganzer Stoß, Zeitungsauschnitte und Kopien davon, nach dem Datum ihres Erscheinens geordnet, und bereits beim ersten Durchblättern sah ich, daß er darin herumgearbeitet hatte, Notizen an den Rändern gemacht, einzelne Stellen unterstrichen, mit verschiedenfarbigen Stiften hervorgehoben. Dazu paßte es auch, daß er sich einmal verplapperte und von den Dokumenten sprach, und während ich sie noch in
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