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Das Große Spiel

Das Große Spiel

Titel: Das Große Spiel
Autoren: Claude Cueni
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und Würden auf Wissen und Leistung?«, fragte seine Mutter. Ihre Stimme klang matt. Ihr fehlte immer öfter die Kraft für solche Dispute.
    »Wir stehen an der Schwelle zu einer neuen Zeit, Mutter. Die Karten werden neu gemischt ...«
    »Hör auf, John!«, rief Jean und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. »Mit diesen Ideen bringst du Gott und den König gegen dich auf. Wer die gottgewollte Ordnung nicht akzeptiert, begibt sich außerhalb der christlichen Gemeinschaft!«
    »Ich gebe Ihnen Recht, Mutter. Aber verdanken wir unseren Fortschritt nicht ausgerechnet jenen Menschen, die sich mit der bestehenden Ordnung nicht abgefunden und sich vorsätzlich abgesondert haben?«
    Mit einer heftigen Bewegung warf Jean ihren Löffel auf den Tisch und schrie: »Es steht dir nicht zu, über deine Mutter zu urteilen und ihr Recht oder Unrecht zu geben!«
    »Ich bitte Sie um Verzeihung, Mutter. Ich wollte Sie nicht verletzen.« Und mit dem für ihn typischen Schmunzeln fügte er leiser hinzu: »Wenn Sie wünschen, Mutter, behaupte ich sogar, dass die Welt eine Scheibe ist, nur damit ich Ihre Liebe nicht verliere.«
    Jean wollte ihren Sohn tadeln, aber Johns Lächeln berührte ihr Herz. Insgeheim war sie stolz auf ihren kleinen John, der plötzlich so groß geworden war. Sie nahm ihren Löffel wieder in die Hand, tauchte ihn in die Suppe und hielt erneut inne: »Dein Lehrer sagt, du bist sehr launenhaft, das beunruhigt ihn.«
    »Ihn beunruhigt alles, was er nicht kennt und daher nicht versteht. Vielleicht sollten wir den Lehrer wechseln.« Der Junge grinste.
    »John«, sagte seine Mutter nun mit sehr ernster Stimme, »wenn dein Vater zurückkommt, werde ich ihm vorschlagen, dass er dich nach Eaglesham schickt...«
    »Renfrewshire? Zu diesem verwirrten Gottesprediger? Man sagt, er sei vom Teufel getrieben.«
    John wandte sich Hilfe suchend an Janine. Doch sie hatte ihm bereits den Rücken zugekehrt und war auf dem Weg zur Tür. Und John dachte, dass Gott ihr diesen wundervollen Po geschenkt hatte wie ihm die Gabe für die Mathematik.
    »Vater will mich gewiss hier bei sich behalten«, lächelte John, »da bin ich mir sicher.«
    »Sicher?«, flachste sein Bruder William. »Wie sicher, Meister?«
    »Hundertprozentig sicher«, zischte John und bohrte seinem Bruder die zweizackige Gabel in den Oberschenkel. William schrie gellend auf.
     
    William Laws Schreie gellten durch die Korridore der Pariser Charite. Einer von Cartiers Helfern drückte William Laws Schultern auf die Holzliege hinunter. Links und rechts von dem Patienten standen Assistenten und fixierten mit geübtem Griff Arme und Beine. Cartier führte das Skalpell noch tiefer in den Oberschenkelmuskel, direkt neben den Anus. Erneut versuchte er, mit den Fingern den Stein zu ertasten, während sich William Law brüllend aufbäumte. Cartier weitete den Einschnitt aus und versuchte nun mit einem Entenschnabel, den Stein in der Blase zu erreichen. Der Chirurg war voll gespritzt mit Blut wie ein Fleischer auf dem Schlachthof. Der Stein befand sich noch immer in der Blase, und er war riesengroß. Eine Stunde später waren die Schreie verstummt. Fassungslos stand Docteur Cartier vor dem blutüberströmten Unterleib des Schotten. Dann nahm er den lauwarmen Penis des Schotten in die Hand und führte noch einmal die steife Sonde in die Harnröhre ein, um den Harnblasenmund zu lokalisieren. Er wollte nicht wahrhaben, was geschehen war.
    »Docteur Cartier«, sprach ihn sein junger Assistent Dutronc mit ruhiger Stimme an. »Docteur Cartier. Der Patient ist tot.«
    Cartier hielt inne. Er starrte auf den schlaffen Penis in seiner Hand. Dann ließ er ihn los. Als er sich die Hände wusch, bebte die Wasserschüssel in den Händen des Assistenten. Das blutdurchtränkte Wasser schwappte über den Rand und klatschte auf den Fußboden.
    Wenig später saß Cartier erschöpft in seiner getäfelten Schreibstube. William Law, der Münzprüfer von Edinburgh, war tot. Er verblutete im Jahre 1683 während einer Lithotomie, dem ältesten bekannten chirurgischen Eingriff. An eine Überführung ins ferne Schottland war nicht zu denken. Man würde ihn formlos im schottischen Kolleg in Paris beisetzen. Cartier starrte auf das dicke rote Siegel, mit dem der Schotte die beiden braunen Umschläge verschlossen hatte.
    »Er kannte das Risiko. Ich habe ihm nichts verschwiegen. Nicht wahr, Dutronc? Der Schotte kannte das Risiko!« Cartier blickte zu seinem Assistenten Dutronc auf, der geduldig vor dem
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