Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Große Spiel

Das Große Spiel

Titel: Das Große Spiel
Autoren: Claude Cueni
Vom Netzwerk:
Versicherungswesens. Von alldem wusste man in Eaglesham nichts. Die einzige Abwechslung war der Fechtunterricht. Außerdem wurde eine neue Sportart angeboten, die in Mode gekommen war, Tennis, doch John Law zog das Fechten vor.
    John freundete sich mit dem gleichaltrigen George Lockhart of Carnwath an, dem Sohn eines schottischen Großgrundbesitzers, ein rastloser Kerl, der kaum eine halbe Stunde ruhig auf einem Stuhl sitzen konnte. Von Wirtschaft verstand George weniger als ein Kutschpferd.Vielleicht war er nicht dumm, aber er hatte nicht die Geduld, zuzuhören und über das Gehörte nachzudenken. Aber er war der Einzige, der John Law bei den täglichen Fechtübungen noch als Partner zur Verfügung stand, nachdem dieser seinen Fechtlehrer bereits in der ersten Unterrichtsstunde besiegt hatte. George hatte sich in den Kopf gesetzt, John eines Tages zu besiegen, und John bestärkte ihn darin: »Solange du nicht aufgibst, hast du eine Chance«, pflegte er zu sagen. »Wenn du aufgibst, hast du verloren. Die meisten Menschen scheitern nicht. Sie geben auf.«
    Nachts, wenn alle schliefen, schlichen sich John und George häufig in die rot gekachelte Küche der Woodrows und spielten bei Mondlicht Karten. Und während sie Karten spielten, erzählten sie sich Geschichten über Mätressen und erotische Abenteuer.
    John wollte stets um Geld spielen. George hatte keins. Deshalb setzte John Spielmünzen aus Horn ein. George schnitzte sie in seinen freien Stunden. Eine kleine Spielmünze entsprach einem englischen Penny. Zweihundertvierzig von diesen Pennys entsprachen zwanzig Shilling. Das war so viel wie ein englisches Pfund, was wiederum einem Arbeiterlohn für zehn Tage entsprach. John und George spielten um Pennys. Bereits nach wenigen Wochen hatte John die Hornausbeute einer ausgewachsenen Kuh beisammen. George blieb als einzige Hoffnung, John eines Tages im Fechten zu besiegen.
     
    So gingen die Jahre dahin, und die Zöglinge, die bei ihrer Ankunft überzeugt gewesen waren, nicht länger als einen Tag in der Einöde von Eaglesham aushalten zu können, hatten sich längst an das Leben auf dem Land gewöhnt und konnten sich ein Leben in der Enge der Großstadt kaum mehr vorstellen. Auch der strenge Unterricht im Internat war längst zur alltäglichen Routine geworden. Eines Tages benutzte Reverend Michael Rob ein französisches Kartenspiel, um eine Wahrscheinlichkeitsrechnung zu veranschaulichen. Der Reverend war sehr verblüfft, als er feststellte, dass der junge John Law sofort die möglichen Kartenkonstellationen im Kopf berechnen konnte. John Law seinerseits war nicht entgangen, dass die Karten des Reverends sehr abgegriffen waren. Michael Rob musste ein Spieler sein. Und er musste Geld haben, weil er hier draußen am Ende der Welt keine Gelegenheit hatte, es auszugeben.
    Deshalb entschloss sich John Law eines Abends, Reverend Michael Rob in seinem Studierzimmer aufzusuchen. Dieser schien sehr überrascht, angenehm überrascht. Schwer atmend stand der dicke Mann in der Tür, die er nur einen Spaltbreit geöffnet hatte. Er stank nach Malzbier, wie es die Kutscher in den Kneipen am Hafen von Edinburgh in riesengroßen Humpen in sich hineinschütteten.
    »Was willst du zu dieser späten Stunde, mein Sohn? In einer halben Stunde ist Nachtruhe«, sagte Reverend Michael Rob mit schwerer Zunge.
    »Ich wollte Ihnen nur danken, Reverend, für all das, was Sie für uns tun ...«
    Reverend Michael Rob schüttelte verdutzt den Kopf. Er starrte John Law mit offenem Mund an. Kein Mensch ist immun gegen Lob. Mit Lob kann man die meisten Menschen bezwingen. Dem Reverend fehlten die Worte.
    »Ich wollte Sie fragen, welchen Werdegang Sie mir nach dem Abschluss in Eaglesham empfehlen würden.«
    Der Reverend stieß die Tür weiter auf und setzte eine staatsmännische Miene auf. Dann riss er die Augenbrauen hoch und sagte kurz entschlossen: »John Law, tritt ein.« John betrat das unordentliche Zimmer. Es stank nach schmutziger Wäsche, nach Urin, nach Schweiß und Bier. Auf dem Tisch unter dem Fenster brannten ein paar Kerzen. Und auf dem Tisch: Karten. Spielkarten. John Law verzog keine Miene. Er hatte sich nicht getäuscht.
    Der Reverend ließ die Tür mit einem Fußtritt zukrachen. Dann drückte er das Kinn gegen die Brust und rülpste. Er besann sich eine Weile, dann stapfte er breitbeinig auf John Law zu und blieb schwankend vor ihm stehen: »Mathematik ... Mathematik ist deine Begabung, John. Mathematik ... lässt sich in sehr vielen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher