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talon009

talon009

Titel: talon009
Autoren: Herr des Dschungels
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Talon Nummer 9

    „Herr des Dschungels“

    von
    Thomas Knip

    Nyeme Kwenzu stemmte voller Muße die Hände in die Hüften und schmunzelte.
    Er hatte es ohnehin nicht sonderlich eilig gehabt, die Anlegestelle am Fluss zu erreichen. Die wenigen Jobs, die die Fährleute hatten, waren mehr als schlecht bezahlt, und die Luft war erfüllt von einer drückenden Schwüle, die ihn nicht dazu anregte, sich den Tag mit Arbeit zu verderben.
    Hier an der vom Fluss abgewandten Seite des Dorfes herrschte ein leichter Wind, der den Schweiß auf seiner Stirn angenehm kühlte. Er hatte sich in den spärlichen Schatten eines knorrigen Baumes zurückgezogen und sah den drei Jungs zu, die heftig miteinander diskutierten.
    Vor einer Weile noch waren sie in ihr Spiel vertieft gewesen, doch bei einem Punkt waren sie sich offensichtlich nicht mehr einig.
    „Talon hat den schwarzen Löwen besiegt!“, bestand der eine auf seiner Version.
    „Pah“, winkte der zweite nur geringschätzig ab. „Shion ist jedem Menschen überlegen. So spiel’ ich nicht mit!“
    „Aber er hat verloren“, wurde er von seinem kleinen Bruder berichtigt.
    „Nein, nein, nein!“, beharrte der zweite.
    „Doch, doch, doch!“, ließ sein Bruder nicht von seiner Meinung ab. Die Jungs schmollten sich gegenseitig an und waren nicht bereit weiter zu spielen, bevor der Punkt nicht geklärt war.
    Aus den Augenwinkeln nahm Nyeme Kwenzu einen Schatten wahr, der sich aus dem morgendlichen Dunst der Savanne löste. Einen Moment schrak er zusammen, dann jedoch erkannte er den Ankömmling.
    Es war die hagere Gestalt eines alten Mannes, der sich schwerfällig auf seinen langen Wanderstab stützte. Bekleidet war er mit nicht mehr als einem safrangelben langen Gewand, das den knochigen Körper fast vollständig bedeckte. Der ausgeblichene Stoff war an zahlreichen Stellen ausgefranst. Die Haut des Alten war für diese Gegend unnatürlich hell. Dieser Eindruck wurde durch den langen weißen, verfilzten Vollbart nur unterstützt. Die Haare waren streng zu einem Knoten am Hinterkopf zusammengebunden.
    Der Alte nickte Kwenzu zu und wurde dann auf den Streit der Kinder aufmerksam. Ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen, als er den Inhalt der Auseinandersetzung verstand. Beschwichtigend hob er die Hand und beendete damit den Disput.
    „Kinder, bitte! Wenn ihr erlaubt, werde ich euch erzählen, was wirklich geschah.“
    Kwenzu winkte einen Nachbarn zu sich her, der in seiner Töpferarbeit inne gehalten hatte, um das Bild auf der Straße zu beobachten.
    „Der alte N’sage hat ein paar neue Opfer“, flüsterte Kwenzu und grinste breit.
    „Lass’ doch“, schmunzelte sein Nachbar. „Den Kleinen macht’s Spaß.“
    Beide gesellten sich zu den Kindern, nachdem sich der Alte am Stamm des Baumes niedergelassen hatte und sich gegen das kühle Holz drückte.
    „Also“, setzte er an, „wie ihr wisst, wurde der Talon von der Tempelgarde Shions, des schwarzen Löwen gefangen genommen. Und das zu der Zeit, als Shion sein uraltes Ritual abhielt … – “
    Während der Alte mit weit ausholenden Gesten die folgenden Ereignisse um die Gefangenschaft, die Flucht und den Kampf beschrieb, wuchs die Zahl der Zuhörer um ihn herum weiter an. Auch wenn das Dorf schon über zwei Fernseher verfügte, machte es den Menschen nach wie vor Freude, den wenigen Geschichtenerzählern zuzuhören, die das Land noch durchstreiften. Und der alte Mann hoffte natürlich, dass etwas Geld oder zumindest ein wenig Verpflegung für ihn abfiel.
    „ … – dann, am nächsten Morgen, sah der Talon dem Auszug der Löwen zu“, fuhr der Alte fort.

    Eine endlos wirkende Reihe kräftiger, gedrungener Körper zog aus dem Schlund der Tempelfestung davon. Sie folgten einem breiten Pfad, der das grüne Meer des Dschungels durchschnitt. Die Überreste längst zerfallener Säulen säumten den Weg. Vereinzelt ragten die steinernen Spitzen zwischen den Blätterkronen der schlanken Bäume empor.
    Talon lehnte sich auf die brüchige Brüstung weit über dem Urwald und sah den Tieren mit einem ausdruckslosen Blick nach. Jede Faser seines Körpers schien von einem Feuer erfüllt zu sein. Die Wunden, die seine Haut bedeckten, waren von den Wächtern Shions versorgt worden. Dennoch brannten sie unaufhörlich und schienen sich in sein Fleisch zu graben.
    Er reckte den Kopf in die Höhe. Der Himmel war erfüllt von einem pastellfarbenen, orangeroten Ton, nur gelegentlich unterbrochen von langen Wolkenbändern, die träge
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