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Das große Heft

Das große Heft

Titel: Das große Heft
Autoren: Agota Kristof
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euch hier. Und was könntet ihr in der Schule noch lernen? 
    - Nichts, Großmutter, absolut nichts.
    Bald bekommen wir einen Brief. Großmutter fragt: 
    - Was steht drin?
    - Es steht drin, daß Sie für uns verantwortlich sind und daß wir uns in der Schule melden sollen. 
    Großmutter sagt:
    - Verbrennt den Brief. Ich kann nicht lesen und ihr auch nicht. Niemand hat diesen Brief gelesen.
    Wir verbrennen den Brief. Bald bekommen wir einen zweiten. Darin steht, daß, wenn wir nicht in die Schule gehen, Großmutter sich strafbar macht. Wir verbrennen auch diesen Brief. Wir sagen zu Großmutter: 
    - Großmutter, vergessen Sie nicht, daß einer von uns blind und der andere taub ist.
    Ein paar Tage später stellt sich ein Mann bei uns vor. Er sagt:
    - Ich bin der Inspektor der Grundschulen. Sie haben zwei Kinder in schulpflichtigem Alter bei sich. Sie haben schon zwei Mahnungen diesbezüglich bekommen. Großmutter sagt:
    - Meinen Sie die Briefe? Ich kann nicht lesen. Die Kinder auch nicht.
    Einer von uns fragt: 
    - Wer ist das? Was sagt er?
    - Er fragt, ob wir lesen können. Wie sieht er aus? 
    - Er ist groß, er hat ein böses Gesicht. 
    Wir schreien gemeinsam:
    - Gehen Sie weg! Tun Sie uns nicht weh! Töten Sie uns nicht. Zu Hilfe!
    Wir verstecken uns unter dem Tisch. Der Inspektor fragt Großmutter:
- Was haben sie? Was ist mit ihnen?
Großmutter sagt:
    - Ach, die Armen, sie fürchten sich vor allem! Sie haben furchtbare Dinge in der Großen Stadt gesehen. Außerdem ist der eine taub und der andere blind. Der Taube erklärt dem Blinden, was er sieht, und der Blinde muß dem Tauben erklären, was er hört. Sonst verstehen sie nichts. 
    Unter dem Tisch brüllen wir:
    - Zu Hilfe, zu Hilfe! Es explodiert! Es macht zuviel Krach! Es ist voller Blitze!
Großmutter erklärt:
- Wenn jemand ihnen Angst macht, hören und sehen sie Dinge, die es nicht gibt.
Der Inspektor sagt:
- Sie haben Halluzinationen. Man müßte sie in einem Krankenhaus behandeln lassen.
Wir brüllen noch lauter.
Großmutter sagt:
    - Bloß nicht! In einem Krankenhaus ist das Unglück passiert. Sie haben ihre Mutter besucht, die dort arbeitete. Als Bomben auf das Krankenhaus gefallen sind, waren sie drin, sie haben die Verwundeten und die Toten gesehen, - sie selber sind mehrere Tage ohnmächtig gewesen. 
    Der Inspektor sagt:
    - Arme Kinder. Wo sind ihre Eltern? 
    - Tod oder vermißt. Wer weiß das?
    - Sie müssen eine sehr große Last für Sie sein. 
    - Was tun? Sie haben niemand außer mir.
    Beim Gehen gibt der Inspektor Großmutter die Hand: 
    - Sie sind eine sehr tapfere Frau.
    Wir bekommen einen dritten Brief, in dem steht, daß wir vom Schulbesuch befreit sind wegen unserer Gebrechen und unseres seelischen Traumas.

Großmutter verkauft ihren Weinberg
    Ein Offizier kommt zu Großmutter und bittet sie, ihren Weinberg zu verkaufen. Die Armee will auf ihrem Grundstück ein Gebäude für die Grenzposten errichten. Großmutter fragt:
    - Und womit wollen Sie mich bezahlen? Das Geld ist nichts mehr wert.
Der Offizier sagt:
    - Im Tausch gegen euer Grundstück bekommen Sie fließendes Wasser und Strom in Ihr Haus. 
    Großmutter sagt:
    - Ich brauche weder eure Elektrizität noch euer fließendes Wasser. Ich habe immer ohne gelebt. 
    Der Offizier sagt:
    - Wir können Ihren Weinberg auch nehmen, ohne Ihnen etwas dafür zu geben. Und das werden wir auch tun, wenn Sie unseren Vorschlag nicht annehmen. Die Armee braucht Ihr Grundstück. Es ist Ihre patriotische Pflicht, es ihr zu geben.
    Großmutter öffnet den Mund, aber wir schalten uns ein:
    - Großmutter, Sie sind alt und müde. Der Weinberg macht Ihnen viel Arbeit und bringt fast nichts ein. Der Wert Ihres Hauses dagegen wird mit Wasser und Strom sehr steigen. 
    Der Offizier sagt:
    - Ihre Enkel sind intelligenter als Sie, Großmutter. 
    Großmutter sagt:
    - Das können Sie wohl sagen! Verhandeln Sie doch mit ihnen. Sie sollen entscheiden.
    Der Offizier sagt:
    - Aber ich brauche Ihre Unterschrift.
    - Ich unterschreibe alles, was Sie wollen. Ich kann sowieso nicht schreiben.
    Großmutter beginnt zu weinen, sie steht auf, sie sagt zu uns:
- Ich vertraue euch.
Sie geht in ihren Weinberg.
Der Offizier sagt:
- Wie sehr sie ihren Weinberg liebt, die arme Alte. Also abgemacht?
Wir sagen:
    - Wie Sie selbst feststellen konnten, hat dieses Grundstück einen großen Gefühlswert für sie, und die Armee wird eine alte Frau gewiß nicht ihres hart erworbenen Guts berauben wollen, eine arme alte Frau, die
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