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Das große Heft

Das große Heft

Titel: Das große Heft
Autoren: Agota Kristof
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Hühner und Enten und der Ziegenkäse. Die Schweine werden an den Metzger verkauft, der sie mit Geld bezahlt, aber auch mit Schinken und geräucherten Würsten.
    Es gibt auch einen Hund, um Diebe zu jagen, und eine Katze, um Mäuse und Ratten zu jagen. Man darf ihr nichts zu fressen geben, damit sie immer Hunger hat. Großmutter besitzt auch einen Weinberg auf der andern Seite der Straße.
    Man betritt das Haus durch die Küche, die groß und warm ist. Das Feuer brennt den ganzen Tag im Holzofen. Am Fenster steht ein riesiger Tisch und eine Eckbank. Auf dieser Bank schlafen wir. Von der Küche führt eine Tür zu Großmutters Zimmer, aber es ist immer abgeschlossen. Nur Großmutter geht abends hinein, um zu schlafen.
    Es gibt noch ein anderes Zimmer, in das man hinein kann, ohne durch die Küche zu gehen, direkt vom Garten aus. Dieses Zimmer wird von einem fremden Offizier bewohnt. Seine Tür ist ebenfalls abgeschlossen. Unter dem Haus gibt es einen Keller voll eßbarer Sachen und unter dem Dach eine Kammer, in die Großmutter nicht mehr hinaufsteigt, seit wir die Leiter angesägt haben und sie sich beim Fallen weh getan hat. Der Eingang zur Dachkammer befindet sich genau über der Tür des Offiziers, und wir klettern an einem Seil hinauf. Dort oben verstecken wir das Aufsatzheft, das Wörterbuch unseres Vaters und die andern Dinge, die wir verbergen müssen.
    Bald fertigen wir einen Schlüssel an, der alle Türen öffnet, und wir bohren Löcher in den Fußboden der Dachkammer. Dank dem Schlüssel können wir uns frei im Haus bewegen, wenn niemand da ist, und dank den Löchern können wir Großmutter und den Offizier in ihren Zimmern beobachten, ohne daß sie es merken.

Großmutter
    Unsere Großmutter ist die Mutter unserer Mutter. Bevor wir zu ihr zogen, wußten wir nicht, daß unsere Mutter noch eine Mutter hatte.
    Wir nennen sie Großmutter.
Die Leute nennen sie die Hexe.
Sie nennt uns »Hundesöhne«.
    Großmutter ist klein und mager. Sie hat ein schwarzes Tuch auf dem Kopf. Ihre Kleider sind dunkelgrau. Sie trägt alte Militärschuhe. Wenn schönes Wetter ist, geht sie barfuß. Ihr Gesicht ist voll Runzeln, brauner Flecke und Warzen, aus denen Haare sprießen. Sie hat keine Zähne mehr, wenigstens keine sichtbaren Zähne. Großmutter wäscht sich nie. Sie wischt sich den Mund mit dem Zipfel ihres Kopftuchs ab, wenn sie gegessen hat oder wenn sie getrunken hat. Sie trägt keine Unterhose. Wenn sie urinieren muß, bleibt sie stehen, wo sie sich gerade befindet, macht die Beine breit und pißt auf die Erde unter ihren Röcken. Natürlich tut sie es nicht im Haus.
    Großmutter zieht sie nie aus. Wir haben abends in ihr Zimmer geschaut. Sie zieht ihren Rock aus, es ist ein anderer Rock darunter. Sie zieht ihre Bluse aus, es ist eine andere Bluse darunter. So legt sie sich hin. Sie nimmt ihr Kopftuch nicht ab.
    Großmutter spricht wenig. Außer abends. Abends holt sie eine Flasche von einem Regal, sie trinkt direkt aus der Flasche. Bald fängt sie an, in einer Sprache zu reden, die wir nicht kennen. Es ist nicht die Sprache, die die fremden Soldaten sprechen, es ist eine ganz andere Sprache.
    In dieser unbekannten Sprache stellt Großmutter sich Fragen und antwortet darauf. Manchmal lacht sie, oder sie wird wütend und schreit. Am Schluß beginnt sie fast immer zu weinen, sie torkelt in ihr Zimmer, sie fällt auf ihr Bett, und wir hören sie in der Nacht lange schnarchen.

Die Arbeiten
    Wir müssen einige Arbeiten für Großmutter verrichten, sonst gibt sie uns nichts zu essen und läßt uns die Nacht draußen verbringen.
    Anfangs wollen wir ihr nicht gehorchen. Wir schlafen im Garten, wir essen Obst und rohes Gemüse.
    Morgens, vor Sonnenaufgang, sehen wir Großmutter aus dem Haus kommen. Sie spricht nicht mit uns. Sie füttert die Tiere, sie melkt die Ziegen, führt sie dann zum Fluß, wo sie sie an einen Baum bindet. Dann gießt sie den Garten und pflückt Gemüse und Früchte, die sie auf ihren Schubkarren lädt. Sie stellt auch einen Korb Eier darauf, einen kleinen Käfig mit einem Kaninchen und einem Huhn oder einer Ente mit zusammengebundenen Beinen.
    Sie geht auf den Markt, ihren Schubkarren schiebend, dessen Gurt, um den mageren Hals gelegt, ihren Kopf herabdrückt. Sie schwankt unter der Last. Die Unebenheiten des Wegs und die Steine bringen sie aus dem Gleichgewicht, aber sie geht mit einwärts gedrehten Füßen, wie die Enten. Sie geht in die Stadt bis zum Markt, ohne stehenzubleiben, ohne ihren
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